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aber geitzig in Neuerungen. Wie sollte es nach der Schöpfungs-Theorie damit zugehen? woher sollte es kommen, dass alle Theile und Organe so vieler unabhängiger Wesen, wenn jedes derselben für seinen eignen Platz in der Natur erschaffen worden, doch durch ganz allmähliche Übergänge miteinander verkettet sind? Warum hätte die Natur nicht einen Sprung von der einen Organisation zur andern gemacht? Nach der Theorie Natürlicher Züchtung dagegen können wir es klar begreifen, weil diese sich nur ganz kleine allmähliche Abänderungen zu Nutzen macht; sie kann nie einen Sprung machen, sondern muss mit kürzesten und langsamsten Schritten voranschreiten.

     Organe von anscheinend geringer Wichtigkeit.) Da Natürliche Züchtung auf Leben und Tod arbeitet, indem sie nämlich Individuen mit vortheilhaften Abänderungen erhält und solche mit ungünstigen Abweichungen der Organisation unterdrückt, so schien mir manchmal die Entstehung einfacher Theile sehr schwer zu begreifen, deren Wichtigkeit nicht genügend erscheint, um die Erhaltung immer weiter abändernder Individuen zu begründen. Diese Schwierigkeit, obwohl von ganz andrer Art, schien mir manchmal eben so gross zu seyn als die hinsichtlich so vollkommner und zusammengesetzter Organe, wie die Augen.

     Erstens aber wissen wir viel zu wenig von dem ganzen Haushalte eines organischen Wesens, um sagen zu können, welche geringe Modifikationen für dasselbe wichtig seyn können, und ich habe in einem früheren Kapitel Beispiele von sehr geringen Charaktern, wie den Flaum der Früchte und die Farbe ihres Fleisches angeführt, welche in so ferne, als sie auf die Angriffe der Insekten von Einfluss sind oder mit der Empfindlichkeit der Wesen für äussre Einflüsse in Zusammenhang stehen, bei der Natürlichen Züchtung gewiss mit in Betracht kommen. Der Schwanz der Giraffe sieht wie ein künstlich gemachter Fliegenwedel aus, und es scheint anfangs unglaublich, dass derselbe durch kleine aufeinanderfolgende Verbesserungen allmählich zur unbedeutenden Bestimmung eines solchen Instrumentes hergerichtet worden seyn solle. Doch hüten wir uns gerade in

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Charles Darwin: Entstehung der Arten. Stuttgart 1860, Seite 205. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Entstehung_der_Arten_1860_(Darwin)_205.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)