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Es würde leicht seyn zu zeigen, dass gewöhnlich ganz verschiedene geistige Fähigkeiten unter diesem Namen begriffen werden. Doch weiss jeder, was damit gemeint ist, wenn ich sage, der Instinkt veranlasse den Kuckuck zu wandern und seine Eier in fremde Nester zu legen. Wenn eine Handlung, zu deren Vollziehung selbst von unserer Seite Erfahrung vorausgesetzt wird, von Seiten eines Thieres und besonders eines sehr jungen Thieres noch ohne alle Erfahrung ausgeübt wird, und wenn sie auf gleiche Weise von vielen Thieren erfolgt, ohne dass diese ihren Zweck kennen, so wird sie gewöhnlich eine instinktive Handlung genannt. Ich könnte jedoch zeigen, dass keiner von diesen Charakteren des Instinkts allgemein ist. Eine kleine Dosis von Urtheil oder Verstand, wie Pierre Huber es ausdrückt, kommt oft mit in’s Spiel, selbst bei Thieren, welche sehr tief auf der Stufenleiter der Natur stehen.

     Friedrich Cuvier und verschiedene ältre Metaphysiker haben Instinkt mit Gewohnheit verglichen. Diese Vergleichung scheint mir eine sehr genaue Nachweisung von den Schranken des Geistes zu geben, innerhalb welcher die Handlung vollzogen wird, aber nicht von ihrem Ursprunge. Wie unbewusst werden manche unsrer Handlungen vollzogen, ja nicht selten in geradem Gegensatz mit unsrem bewussten Willen! Doch können sie durch den Willen oder Verstand abgeändert werden. Gewohnheiten verbinden sich leicht mit andern Gewohnheiten oder mit gewissen Zeit-Abschnitten und Zuständen des Körpers. Einmal angenommen erhalten sie sich oft lebenslänglich. Es liessen sich noch manche andre Ähnlichkeiten zwischen Instinkten und Gewohnheiten nachweisen. Wie bei Wiederholung eines wohlbekannten Gesanges, so folgt auch beim Instinkte eine Handlung auf die andre durch eine Art Rhythmus. Wenn Jemand beim Gesange oder bei Hersagung auswendig gelernter Worte unterbrochen worden, so ist er gewöhnlich genöthigt, wieder etwas zurückzugehen, um den Gedanken-Gang wieder zu finden. So sah es P. Huber auch bei einer Raupen-Art, wenn sie beschäftigt war, ihr sehr zusammengesetztes Gewebe zu fertigen; nahm er sie heraus, nachdem dieselbe z. B. das letzte Sechstel vollendet

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Charles Darwin: Entstehung der Arten. Stuttgart 1860, Seite 218. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Entstehung_der_Arten_1860_(Darwin)_218.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)