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schon länger existirt haben könne. Eben so, wenn wir eine Art schon vor den letzten Schichten einer Formation verschwinden sehen, würde es übereilt seyn anzunehmen, dass sie schon völlig erloschen seye. Wir vergessen, wie klein die Ausdehnung Europa’s im Vergleich zur übrigen Welt ist; auch sind die verschiedenen Stöcke der einzelnen Formationen noch nicht durch ganz Europa mit vollkommener Genauigkeit parallelisirt worden.

     Bei allen Sorten von Seethieren können wir getrost annehmen, dass in Folge von klimatischen u. a. Veränderungen massenhafte und ausgedehnte Wanderungen stattgefunden haben; und wenn wir eine Art zum ersten Male in einer Formation auftreten sehen, so liegt die Wahrscheinlichkeit vor, dass sie eben da erst von einer andern Gegend her eingewandert seye. So ist es z. B. wohl bekannt, dass einige Thier-Arten in den paläolithischen Bildungen Nord-Amerika’s etwas früher als in den Europäischen auftreten, indem sie zweifelsohne Zeit nöthig hatten, um die Wanderung von Amerika nach Europa zu machen. Bei Untersuchungen der neuesten Ablagerungen in verschiedenen Weltgegenden ist überall die Wahrnehmung gemacht worden, dass einige wenige noch lebende Arten in diesen Ablagerungen häufig, aber in den unmittelbar umgebenden Meeren verschwunden sind, oder dass umgekehrt einige jetzt in den benachbarten Meeren häufige Arten und jener Ablagerungen noch selten oder gar nicht zu finden sind. Es ist sehr lehrreich über den erwiesenen Umfang der Wanderungen Europäischer Thiere während der Eis-Zeit nachzudenken, welche doch nur einen kleinen Theil der ganzen geologischen Zeitdauer ausmacht, so wie die grosser Niveau-Veränderungen, die aussergewöhnlich grossen Klima-Wechsel, die unermessliche Länge der Zeiträume in Erwägung zu ziehen, welche alle mit dieser Eis-Periode zusammen fallen. Dann dürfte zu bezweifeln seyn, dass sich in irgend einem Theile der Welt Sediment-Ablagerungen, welche fossile Reste enthalten, auf dem gleichen Gebiete während der ganzen Dauer dieser Periode abgelagert haben. So ist es z. B. nicht wahrscheinlich, dass während der ganzen Dauer der Eis-Periode Sediment-Schichten an der Mündung des Mississippi innerhalb

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Charles Darwin: Entstehung der Arten. Stuttgart 1860, Seite 301. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Entstehung_der_Arten_1860_(Darwin)_301.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)