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Hunderte und abermals Hunderte von Reihern u. a. Vögeln gehen täglich auf den Fischfang aus; wenn sie sich erheben, suchen sie oft andre Wasser auf oder werden auch zufällig übers Meer getrieben; und wir haben gesehen, dass Saamen oft ihre Keimkraft noch besitzen, wenn sie in Gewölle, in Exkrementen u. dgl. einige Stunden später wieder ausgeworfen werden. Als ich die grossen Saamen der herrlichen Wasserlilie, Nelumbium, sah und mich dessen erinnerte, was Alphons DeCandolle über diese Pflanze gesagt, so meinte ich ihre Verbreitung müsse ganz unerklärbar seyn. Doch Audubon versicherte, Saamen der grossen südlichen Wasserlilie (nach Dr. Hooker wahrscheinlich das Nelumbium speciosum) im Magen eines Reihers gefunden zu haben, und, obwohl es mir als Thatsache nicht bekannt ist, so schliesse ich doch aus der Analogie, dass, wenn ein Reiher in solchem Falle nach einem andern Sumpfe flöge und dort eine herzhafte Fisch-Mahlzeit zu sich nähme, er wahrscheinlich aus seinem Magen wieder einen Ballen mit noch unverdautem Nelumbium-Saamen auswerfen würde; oder der Vogel kann diese Saamen verlieren, wenn er seine Jungen füttert, wie er bekanntlich zuweilen einen Fisch fallen lässt[1].

     Bei Betrachtung dieser verschiedenen Verbreitungs-Mittel muss man sich noch erinnern, dass, wenn ein Sumpf oder Fluss z. B. auf einer neuen Insel eben erst entsteht, er noch nicht bevölkert ist und ein einzelnes Sämchen oder Ei’chen gute Aussicht auf Fortkommen hat. Auch wenn ein Kampf ums Daseyn zwischen den Individuen der wenigen Arten, die in einem Sumpfe beisammen leben, bereits begonnen hat, so wird in Betracht, dass die Zahl der Arten gegen die auf dem Lande doch geringer ist, der Wettkampf auch wohl minder heftig als der zwischen den Landbewohnern seye; ein neuer Eindringling, aus der Fremde angelangt, würde mithin auch mehr Aussicht haben eine Stelle


  1. In diesem Falle wäre vielleicht wahrscheinlicher anzunehmen, der Reiher habe einen Fisch verschlungen gehabt, welcher jene Saamen gefressen hatte; und die Saamen würden keimfähig wieder zu Boden gelangt seyn, wenn nun ein Raubvogel den Reiher zerrissen hätte.     D. Übs.
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Charles Darwin: Entstehung der Arten. Stuttgart 1860, Seite 392. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Entstehung_der_Arten_1860_(Darwin)_392.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)