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so dass er als Flügel zu dienen im Stande ist: und doch ist ungeachtet aller so bedeutender Abänderungen keine Neigung zu einer Änderung der Knochen-Bestandtheile an sich oder zu einer andern Zusammenfügung derselben vorhanden. Wenn wir unterstellen, dass der alte Stammvater oder Urtypus, wie man ihn nennen kann, aller Säugthiere seine Beine, zu welchem Zwecke sie auch bestimmt gewesen seyn mögen, nach dem vorhandenen allgemeinen Plane gebildet hatte, so werden wir sofort die klare Bedeutung der homologen Bildung der Beine in der ganzen Klasse begreifen. Wenn wir ferner hinsichtlich des Mundes der Insekten einfach unterstellen, dass ihr gemeinsamer Stammvater eine Oberlippe, Kinnbacken und zwei Paar Unterkiefer vielleicht von sehr einfacher Form besessen, so wird Natürliche Züchtung auf irgend eine ursprünglich erschaffene Form wirkend vollkommen zur Erklärung der unendlichen Verschiedenheit in den Bildungen und Verrichtungen des Mundes der Insekten genügen. Demungeachtet ist es begreiflich, dass das ursprünglich gemeinsame Muster eines Organes allmählich ganz verloren gehen kann, seye es durch Atrophie und endliche vollständige Resorption gewisser Bestandtheile, oder durch Verwachsung einiger Theile, oder durch Verdoppelung oder Vervielfältigung andrer: Abänderungen, die nach unsrer Erfahrung alle in den Grenzen der Möglichkeit liegen. Nur in den Ruderfüssen gewisser ausgestorbner Eidechsen (Ichthyosaurus) und in den Theilen des Saugmundes gewisser Kruster scheint der gemeinsame Grundplan bis zu einem gewissen Grade verwischt zu seyn.

     Ein andrer Zweig der Morphologie beschäftigt sich mit der Vergleichung, nicht des nämlichen Theiles in verschiedenen Gliedern einer Klasse, sondern der verschiedenen Theile oder Organe eines nämlichen Individuums. Die meisten Physiologen glauben, dass die Knochen des Schädels homolog[1] — d. h. in Zahl und beziehungsweiser Lage übereinstimmend — seyen mit


  1. Zu Bezeichnung der Übereinstimmung von Organen eines nämlichen Individuums miteinander haben wir den Ausdruck „homonym“ angewendet, indem wir Homologien nur bei Vergleichung verschiedener Thier-Arten annehmen (Morphologische Studien S. 410).     D. Übs.
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Charles Darwin: Entstehung der Arten. Stuttgart 1860, Seite 439. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Entstehung_der_Arten_1860_(Darwin)_439.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)