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Raupen-Stande des Schmetterlings entsprechend, hat sie sechs Paar schön gebauter Schwimmfüsse, ein Paar herrlich zusammengesetzter Augen und äusserst zusammengesetzte Fühler, aber einen geschlossenen Mund, der keine Nahrung aufnehmen kann; ihre Verrichtung auf dieser Stufe ist, einen zur Befestigung und zur letzten Metamorphose geeigneten Platz mittelst ihres wohl-entwickelten Sinnes-Organes zu suchen und mit ihren mächtigen Schwimm-Werkzeugen zu erreichen. Wenn diese Aufgabe erfüllt ist, so bleibt das Thier lebenslänglich an seiner Stelle befestigt; seine Beine verwandeln sich in Greif-Organe; es bildet sich ein wohl zusammengesetzter Mund aus; aber es hat keine Fühler, und seine beiden Augen haben sich jetzt wieder in einen kleinen und ganz einfachen Augenfleck verwandelt. In diesem letzten und vollständigen Zustande kann man die Cirripeden als höher oder als tiefer organisirt betrachten, als sie im Larven-Stande gewesen sind. In einigen ihrer Sippen jedoch entwickeln sich die Larven entweder zu Hermaphroditen von der gewöhnlichen Bildung, oder zu (von mir so genannten) komplementären Männchen; und in diesen letzten ist die Entwickelung gewiss zurückgeschritten, denn sie bestehen in einem blossen Sack mit kurzer Lebens-Frist, ohne Mund, Magen oder andres wichtiges Organ, das der Reproduktion ausgenommen.

     Wir sind so sehr gewöhnt, Struktur-Verschiedenheiten zwischen Embryonen und erwachsenen Organismen zu sehen und ebenso eine grosse Ähnlichkeit zwischen den Embryonen weit verschiedener Thiere derselben Klasse zu finden, dass man sich versucht fühlt, diese Erscheinungen als nothwendig in gewisser Weise zusammentreffend mit der Entwickelung zu betrachten. Inzwischen ist doch kein Grund einzusehen, warum der Plan z. B. zum Flügel der Fledermaus oder zum Ruder der Seeschildkröte nach allen ihren Theilen in angemessener Proportion nicht schon im Embryo entworfen worden seyn soll, sobald nur irgend eine Struktur in demselben sichtbar wurde. Und in einigen ganzen Thier-Gruppen sowohl als in gewissen Gliedern andrer Gruppen weicht der Embryo zu keiner Zeit seines Lebens weit vom Erwachsenen ab; — daher Owen in Bezug auf die Sepien bemerkt

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Charles Darwin: Entstehung der Arten. Stuttgart 1860, Seite 445. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Entstehung_der_Arten_1860_(Darwin)_445.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)