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ich, dass die Füllen noch keinesweges die ganze Verschiedenheit in ihren Maass-Verhältnissen besassen.

     Da es mir erwiesen scheint, dass die verschiedenen Haustauben-Rassen von nur einer wilden Art herstammen, so verglich ich junge Tauben verschiedener Rassen 12 Stunden nach dem Ausschlüpfen miteinander; ich mass die Verhältnisse (wovon ich die Einzelnheiten hier nicht mittheilen will) zwischen dem Schnabel, der Weite des Mundes, der Länge der Nasenlöcher und des Augenlides, der Läufe und Zehen sowohl beim wilden Stamme, als bei Kröpfern, Pfauen-Tauben, Runt- und Barb-Tauben (S. 27), Drachen- und Boten-Tauben und Purzlern. Einige von diesen Vögeln weichen im reifen Zustande so ausserordentlich in der Länge und Form des Schnabels von einander ab, dass man sie, wären sie natürliche Erzeugnisse, zweifelsohne in ganz verschiedene Genera bringen würde. Wenn man aber die Nestlinge dieser verschiedenen Rassen in eine Reihe ordnet, so erscheinen die Verschiedenheiten ihrer Proportionen in den genannten Beziehungen, obwohl man die meisten derselben noch von einander unterscheiden kann, unvergleichbar geringer, als in den ausgewachsenen Vögeln. Einige charakteristische Differenz-Punkte der Alten, wie z. B. die Weite des Mundspaltes, sind an den Jungen noch kaum zu entdecken. Es war nur eine merkwürdige Ausnahme von dieser Regel, indem die Jungen des kurzstirnigen Purzlers von den Jungen der wilden Felstaube und der andren Rassen in allen Maass-Verhältnissen fast genau ebenso verschieden waren, wie im erwachsenen Zustande[1].

     Die zwei oben aufgestellten Prinzipien scheinen mir diese Thatsachen in Bezug auf die letzten Embryo-Zustände unsrer zahmen Varietäten zu erklären. Liebhaber wählen ihre Pferde, Hunde und Tauben zur Nachzucht aus, wann sie nahezu ausgewachsen sind. Es ist ihnen gleichgültig, ob die verlangten Bildungen und Eigenschaften früher oder später im Leben zum Vorschein kommen, wenn nur das ausgewachsene Thier sie besitzt.


  1. Das ist wohl insoferne nicht wörtlich zu nehmen, als ja die Jungen der andern Rassen noch nicht so wie im Alter verschieden waren.     D. Übs.
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Charles Darwin: Entstehung der Arten. Stuttgart 1860, Seite 449. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Entstehung_der_Arten_1860_(Darwin)_449.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)