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R. Owen hat Diess ganz gut in Zeichnungen der Bein-Knochen des Pferdes, des Ochsen und des Nashorns dargestellt.

      Es ist eine wichtige Erscheinung, dass rudimentäre Organe, wie die Zähne im Oberkiefer der Wale und Wiederkäuer, oft im Embryo zu entdecken sind und nachher völlig verschwinden. Auch ist es, glaube ich, eine allgemeine Regel, dass ein rudimentäres Organ den angrenzenden Theilen gegenüber im Embryo grösser als im Erwachsenen erscheint, so dass das Organ im Embryo minder rudimentär ist und oft kaum als irgendwie rudimentär bezeichnet werden kann; oder man sagt oft von ihm, es seye auf seiner embryonalen Entwickelungs-Stufe auch im Erwachsenen stehen geblieben.

     Ich habe jetzt die leitenden Erscheinungen bei rudimentären Organen aufgeführt. Bei weiterem Nachdenken darüber muss jeder von Erstaunen betroffen werden; denn dieselbe Urtheilskraft, welche uns so deutlich erkennen lässt, wie vortrefflich die meisten Theile und Organe ihren verschiedenen Bestimmungen angepasst sind, lehrt uns auch mit gleicher Deutlichkeit, dass diese rudimentären oder atrophirten Organe unvollkommen und nutzlos sind. In den naturgeschichtlichen Werken liest man gewöhnlich, dass die rudimentären Organe nur der »Symmetrie wegen« oder »um das Schema der Natur zu ergänzen« vorhanden sind; Diess scheint mir aber keine Erklärung, sondern nur eine andre blosse Behauptung der Thatsache zu seyn. Würde es denn genügen zu sagen, weil Planeten in elliptischen Bahnen um die Sonne laufen, nehmen Satelliten denselben Lauf um die Planeten nur der Symmetrie wegen und um das Schema der Natur zu vervollständigen? Ein ausgezeichneter Physiologe sucht das Vorkommen rudimentärer Organe durch die Annahme zu erklären, dass sie dazu dienen, überschüssige oder dem Systeme schädliche Materie auszuscheiden. Aber kann man denn annehmen, dass das kleine nur aus Zellgewebe bestehende Wärzchen, welches in männlichen Blüthen oft die Stelle des Pistills vertritt, Diess zu bewirken vermöge? Kann man unterstellen, dass die Bildung rudimentärer Zähne, die später wieder resorbirt werden, dem in raschem Wachsen begriffenen Kalb-Embryo durch Ausscheidung der ihm

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Charles Darwin: Entstehung der Arten. Stuttgart 1860, Seite 457. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Entstehung_der_Arten_1860_(Darwin)_457.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)