Seite:De Entstehung der Arten 1860 (Darwin) 459.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.


Abstufungen eintreten kann, liegt im Bereiche der Natürlichen Züchtung; daher ein Organ, welches in Folge geänderter Lebens-Weise nutzlos oder nachtheilig für seine Bestimmung wird, abgeändert und für andre Verrichtungen verwendet werden kann. Oder ein Organ wird nur noch für eine von seinen früheren Verrichtungen beibehalten. Ein nutzlos gewordenes Körper-Glied mag veränderlich seyn, weil seine Abänderungen nicht durch Natürliche Züchtung geleitet werden können. In welchem Lebens-Abschnitte nun ein Organ durch Nichtbenützung oder Züchtung reduzirt werden mag (und Diess wird gewöhnlich erst der Fall seyn, wenn das Thier zu seiner vollen Reife und Thatkraft gelangt ist): so wird nach dem Prinzip der Wiedervererbung in sich entsprechenden Altern dieses Organ in reduzirtem Zustande stets im nämlichen Alter wieder erscheinen und sich mithin nur selten im Embryo ändern oder verkleinern. So erklärt sich mithin die verhältnissmässig beträchtlichere Grösse rudimentärer Organe im Embryo und deren vergleichungsweise geringere Grösse im Erwachsenen. Wenn aber jede Abstufung im Reduktions-Prozesse nicht in einem entsprechenden Alter, sondern in einer sehr frühen Lebens-Periode vererbt werden sollte (was wir guten Grund haben für möglich zu halten), so würde das rudimentäre Organ endlich ganz zu verschwinden streben und den Fall eines vollständigen Fehlschlagens darbieten. Auch das in einem früheren Kapitel erläuterte Prinzip der Ökonomie, wornach die zur Bildung eines dem Besitzer nicht mehr nützlichen Theiles verwendeten Bildungs-Stoffe erspart werden, mag wohl oft mit ins Spiel kommen; und Diess wird dann dazu beitragen, das gänzliche Verschwinden eines schon verkümmerten Organes zu bewirken.

     Da hiernach die Anwesenheit rudimentärer Organe von dem Streben eines jeden Theiles der Organisation sich nach langer Existenz erblich zu übertragen bedingt ist, so wird aus dem Gesichtspunkte einer genealogischen Klassifikation begreiflich, wie es komme, dass Systematiker die rudimentären Organe für ihren Zweck zuweilen eben so nützlich befunden haben, als die Theile von hoher physiologischer Wichtigkeit. Organe-Stümmel kann man mit den Buchstaben eines Wortes vergleichen, welche beim

Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Entstehung der Arten. Stuttgart 1860, Seite 459. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Entstehung_der_Arten_1860_(Darwin)_459.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)