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in kurzer Zeit dadurch grossen Erfolg zu erzielen, dass er allmählich alle in einer Richtung hervortretenden individuellen Verschiedenheiten zusammenhäuft; und jedermann gibt zu, dass wenigstens individuelle Verschiedenheiten bei den Arten im Natur-Zustande vorkommen. Aber von diesen abgesehen, haben alle Naturforscher das Daseyn von Abarten oder Varietäten eingestanden, welche verschieden genug seyen, um in den systematischen Werken als solche mit aufgeführt zu werden. Doch kann niemand einen bestimmten Unterschied zwischen individuellen Abänderungen und leichten Varietäten oder zwischen verschiedenen Abarten, Unterarten und Arten angeben. Erinnern wir uns, wie sehr die Naturforscher in ihrer Ansicht über den Rang der vielen stellvertretenden Formen in Europa und Amerika auseinandergehen.

     Wenn es daher im Natur-Zustande Variabilität und ein mächtiges stets zur Thätigkeit und Zuchtwahl bereites Agens gibt, wesshalb sollten wir noch bezweifeln, dass irgend welche für die Organismen in ihren äusserst verwickelten Lebens-Verhältnissen einigermaassen nützliche Abänderungen erhalten, gehäuft und vererbt werden? Wenn der Mensch die ihm selbst nützlichen Abänderungen geduldig zur Nachzucht auswählt: warum sollte die Natur unterlassen, die unter veränderten Lebens-Bedingungen für ihre Produkte nützlichsten Abänderungen auszusuchen? Welche Schranken kann man einer Kraft setzen, welche von einer Welt-Periode zur andern beschäftigt ist, die ganze organische Bildung, Thätigkeit und Lebens-Weise eines jeden Geschöpfes unausgesetzt zu sichten, das Gute zu befördern und das Schlechte zurückzuwerfen? Ich vermag keine Grenze zu sehen für eine Kraft, welche jede Form den verwickeltesten Lebens-Verhältnissen langsam anzupassen beschäftigt ist. Die Theorie der Natürlichen Züchtung scheint mir, auch wenn wir uns nur darauf allein beschränken, in sich selbst wahrscheinlich zu seyn. Ich habe bereits, so ehrlich als möglich, die dagegen erhobenen Schwierigkeiten und Einwände rekapitulirt; jetzt wollen wir uns zu den Spezial-Erscheinungen und Folgerungen zu Gunsten unsrer Theorie wenden.

     Aus meiner Ansicht, dass Arten nur stark ausgebildete und

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Charles Darwin: Entstehung der Arten. Stuttgart 1860, Seite 472. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Entstehung_der_Arten_1860_(Darwin)_472.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)