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wir ein bestimmtes Ziel im Auge haben. Wir besitzen keine Stamm-Bäume und Wappen-Bücher und werden daher die vielfältig auseinander-laufenden Abstammungs-Linien in unsren Natur-Genealogien mit Hilfe von mehr oder weniger lang vererbten Charakteren zu entdecken und zu verfolgen haben. Rudimentäre Organe werden in Bezug auf längst verloren gegangene Gebilde untrügliches Zeugniss geben. Arten und Arten-Gruppen, welche man abirrende genannt hat und mit einiger Einbildungs-Kraft lebende Fossile nennen könnte, werden uns helfen ein vollständigeres Bild von den alten Lebenformen zu entwerfen, und die Embryologie wird uns die mehr und weniger verdunkelte Bildung der Prototype einer jeden der Hauptklassen des Systemes enthüllen.

     Wenn wir erst für gewiss annehmen, dass alle Individuen einer Art und alle nahe verwandten Arten der meisten Sippen in einer nicht sehr fernen Vorzeit von einem gemeinsamen Vater entsprungen und von ihrer Geburts-Stätte aus gewandert, und wenn wir erst besser die mancherlei Mittel kennen werden, welche ihnen bei ihren Wanderungen zu gut gekommen sind, dann wird das Licht, welches die Geologie über die früheren Veränderungen des Klima’s und der Formen der Erd-Oberfläche schon verbreitet hat und noch ferner verbreiten wird, uns gewiss in den Stand setzen, ein vollkommenes Bild von den früheren Wanderungen der Erd-Bewohner zu entwerfen. Sogar jetzt schon kann die Vergleichung der Meeres-Bewohner an den zwei entgegengesetzten Küsten eines Kontinentes und die Beschaffenheit der manchfaltigen Bewohner dieses Kontinentes in Bezug auf ihre Einwanderungs-Mittel dazu dienen, die alte Geographie einigermaassen zu beleuchten.

     Die erhabene Wissenschaft der Geologie verliert von ihrem Glanze durch die Unvollständigkeit der Aufzeichnungen. Man kann die Erd-Rinde mit den in ihr enthaltenen organischen Resten nicht als ein wohl gefülltes Museum, sondern nur als eine zufällige und nur dann und wann einmal bedachte arme Sammlung ansehen. Die Ablagerung jeder grossen Fossilien-reichen Formation ergibt sich als die Folge eines ungewöhnlichen Zusammentreffens von Umständen, und die Pausen zwischen den aufeinander-folgenden

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Charles Darwin: Entstehung der Arten. Stuttgart 1860, Seite 491. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Entstehung_der_Arten_1860_(Darwin)_491.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)