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gesetzt, die dunkelsten Tiefen der Natur zu beleuchten, das bisher unlösbar geschienene Problem, das grösste Räthsel für die Naturforschung zu lösen und einen Gedanken, ein Grund-Gesetz in Werden und Seyn der ganzen Organismen-Welt nachzuweisen, das dieselbe in Zeit und Raum eben so beherrscht, wie die Schwerkraft in den Himmelskörpern und die Wahlverwandtschaft in aller Materie waltet, und auf welches alle andern Gesetze zurückführbar sind, die man bisher für sie aufgestellt hat. Es ist das Entwickelungs-Gesetz durch Natürliche Züchtung, das in der ganzen organischen Natur eben so wie im Systeme und im Individuum durch Zeit und Raum herrscht.

     Die bisherigen Versuche, jenes Problem ganz oder theilweise zu lösen, waren Einfälle ohne alle Begründung und nicht fähig eine Prüfung nach dem heutigen Stand der Wissenschaft auszuhalten, ja nur zu veranlassen[1]. Gleichwohl hat jeder Naturforscher gefühlt, dass die Annahme einer jedesmaligen persönlichen Thätigkeit des Schöpfers, um die unzähligen Pflanzen- und Thier-Arten in’s Daseyn zu rufen und ihren Existenz-Bedingungen anzupassen, im Widerspruch ist mit allen Erscheinungen in der unorganischen Natur, welche durch einige wenige unabänderliche Gesetze geregelt werden[2], durch Kräfte, die der Materie selbst eingeprägt sind. Da wir es auf Hrn. Darwin’s Wunsch übernommen haben, sein Werk in’s Deutsche zu übertragen, so glauben wir dem Leser einige Rechenschaft von unsrer eigenen bisherigen Ansicht über mehre der durch den Vrf. erörterten Fragen im Einzelnen und über seine Theorie im Ganzen so wie von dem Einflusse schuldig zu seyn, welchen dieselbe auf unsre eigene Vorstellungs-Weise hinterlassen hat. Wir leisten diese Rechenschaft um so lieber, als, was wir auch immer gegen diese neue Theorie einzuwenden haben mögen, Diess unsre hohe Achtung und Bewunderung für ihren Begründer, unsere Dankbarkeit für seine zahlreichen Belehrungen und unsre zuversichtliche Hoffnung auf glänzende Erfolge seiner Bestrebungen nicht schmälern kann[3].


  1. Vgl. unsere Entwicklungs-Gesetze der organ. Welt S. 78.
  2. Entwicklungs-Gesetze der organ. Welt 77-80, 229.
  3. Wir glauben uns keiner Indiskretion schuldig zu machen, wenn wir der Übersetzung Einreden beifügen, da Hr. Darwin unsre abweichende Ansicht kannte, als er den Wunsch ausdrückte eine Übersetzung durch uns selbst oder unter unsrer Aufsicht veranstaltet zu sehen, und da er selbst die allseitige Diskussion seiner Theorie ausdrücklich wünscht.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Entstehung der Arten. Stuttgart 1860, Seite 496. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Entstehung_der_Arten_1860_(Darwin)_496.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)