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nicht mehr nöthig und vielleicht sogar schädlich sind. Wie die Natürliche Züchtung die ganzen Lebenformen allmählich differenzirt, um sie verschiedenen Lebens-Bedingungen anzupassen, so verfährt sie oft auch mit gleichartigen Organen, die in grösserer Anzahl an einerlei Individuen vorkommen. Wenn jedoch erbliche Abänderungen nur in einem gewissen Lebens-Alter auftreten oder erworben werden, so vererben sie sich auch nur auf dieses Lebens-Alter der Nachkommenschaft; diese bekommt mit fortschreitendem Alter neue Formen, durchläuft vom Embryo-Zustande an eine »Metamorphose«, während es andere Lebenformen gibt, welche lebenslänglich fast gleiche (»embryonische«) Gestalt beibehalten, daher die ursprüngliche Verwandtschaft der Wesen sich gewöhnlich durch Übereinstimmung im Embryo-Zustande am längsten verräth. Die allmähliche Entstehung so vieler immer manchfaltigerer und z. Th. immer vollkommenerer Lebenwesen durch Fortpflanzung mit Abänderung und unter gleichzeitigem Aussterben anderer lässt sich daher mit der Entwickelung eines Baumes vergleichen; die Urformen bilden den Stamm, die Ordnungen, Sippen und Arten die Äste und Zweige, und ein natürliches System kann nicht anders als in Form eines Stammbaumes dargestellt werden. Dieser Baum erstreckt sich gleichsam durch alle Gebirgs-Formationen aus der Tiefe herauf; da er aber in der Silur-Zeit schon in viele Äste auseinander gelaufen, so muss der eigentliche Stamm in noch viel älteren und tieferen Schichten stecken, die man noch nicht entdeckt oder erkannt hat, entweder weil sie durch metamorphische Prozesse verändert und sammt ihren organischen Resten unkenntlich geworden sind, oder weil sie unter dem Ozean liegen. Denn es könnte möglich seyn, dass seit der silurischen Periode das Weltmeer im Ganzen genommen in Senkung, wie unsere jetzigen Kontinente im Ganzen genommen fortwährend in Hebung begriffen wären. Im Übrigen erklärt sich die geographische Verbreitungs-Weise der Organismen, von zufälligen und gelegentlichen Verbreitungs-Mitteln einzelner Individuen abgesehen, hauptsächlich aus grossen klimatischen und geographischen Veränderungen (wie die Eis-Zeit), welche der Reihe nach alle Theile der Erd-Oberfläche

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Charles Darwin: Entstehung der Arten. Stuttgart 1860, Seite 500. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Entstehung_der_Arten_1860_(Darwin)_500.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)