Seite:De Flüssige Kristalle Lehmann 20.jpg

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oder zähflüssige Körper geben wird, mit nur halb unzureichender Richtkraft, welche wohl eine Struktur zu Stande bringt, aber keine regelmäßige Raumgitterstruktur, sondern eine gestörte, etwa ähnlich der der Sphärokristalle.

     In der Tat fand sich, daß die bei höheren Temperaturen auftretenden Modifikationen des Ammoniumnitrats noch leichter biegsam sind als die gewöhnliche und daß die kurz vor den Schmelzen auftretende nur skelettartig kristallisierende reguläre Modifikation so plastisch ist, daß fraglich erschien, ob sie wirklich eine Elastizitätsgrenze besitzt, also zu den festen Kristallen zu rechnen ist, oder ob sie (ähnlich wie warmes Pech) zu den zähen Flüssigkeiten gerechnet werden muß.[1] Die skelettartige Form ihrer Kristalle gleicht sehr derjenigen der aus wäßriger Lösung beim Abkühlen sich ausscheidenden Salmiakkristalle.

     Ebenso wie bei diesen werden wohl auch bei Ammoniumnitrat eine oder zwei oder mehr Modifikationen aufgenommen und ihr Einfluß muß um so größer sein, als die Substanz sehr weich ist, die molekulare Richtkraft also (wahrscheinlich wegen großen Abstandes der Moleküle) nur in geringem Maße zur Geltung kommen kann.

     Könnte man mit Sicherheit sagen, die Elastizitätsgrenze sei wirklich Null, d. h. es sei nicht möglich aus regulären Ammoniumnitrat eine Feder herzustellen, die wenigstens eine sehr schwache Spannung dauernd ertragen kann, so läge hier der erste Fall einer Beobachtung flüssiger Kristalle vor.

     Noch schwieriger schien die Entscheidung bei der ebenfalls kurz vor dem Schmelzen sich bildenden regulär-kristallisierenden Modifikation des Jodsilbers[1], die man damals geradezu zu den amorphen weichen festen Körpern rechnete, welche allmählich erweichen bis zum Übergang in den flüssigen Zustand und von manchen deshalb ebenfalls zu den Flüssigkeiten gerechnet wurden.

     Jedenfalls zeigen reguläre Jodsilberstäbchen höchstens unvollkommene Elastizität (wie zähe Flüssigkeiten) und man müßte somit auch diese als Wirkung der molekularen Richtkräfte betrachten, obschon nach der Identitätstheorie den Flüssigkeiten Richtkräfte nicht zukommen. Die Kristalle sind auch nur skelettartig.


  1. a b O. Lehmann, Zeitschr. f. Kristallogr. 1 (1877), 120 u. 492, Anm.; Wied. Ann. 24 (1885), Taf. 1, Fig. 27; 38 (1889), 400, Anm. 2; Die Lehre von den flüssigen Kristallen 1918, 273.