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Draußen vor der Kammerthüre

Lauschte leis ein kichernd Völkchen,
Schwesterlein und kleine Brüder;
Doch die Thür war fest verschlossen.

Hinter’m Christbaum stand mein Mädchen,

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Vor dem Christbaum stand ich selber,

Und wir waren ganz allein;
Ich ein wilder, blonder Knabe,
Du ein schüchtern zartes Kind.

Aber durch die grünen Zweige

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Spannen sich verstohl’ne Strahlen,

War der Schein von all’ den Lichtlein,
War der Schein von deinen Blicken,
Und das Auge gieng mir über.

Ach, wir hatten von der Liebe

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Noch kein einz’ges Wort gesprochen,

Wußte jedes doch von selber,
Wie herzlieb es war dem andern.

Und du tratest vor das Bäumchen,
Mein vollendet’ Werk zu schauen,

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Schautest aber nicht auf’s Bäumchen,

Schautest nur in meine Augen,
Und ich faßte deine Hände.

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hertz: Gedichte. Hoffman und Campe, Hamburg 1859, Seite 55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Gedichte_(Hertz_W)_065.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)