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Nun kam zu Gewar’s Hofe ein junger Heldensohn,

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Der war des Königs Mündel und diente um den Thron.

Von seiner weißen Stirne quoll weiches Lockengold,
Er wußte süße Weisen, ihm waren Elfen hold.

Er sang von allem Sehnen, von Hoffnung, Lust und Schmerz,
Als wäre seine Harfe ein tönend Menschenherz.

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Sein Lied erhob am Morgen die Träumer aus der Ruh’

Und schloß am späten Abend schlaflose Augen zu.

Einst saß er vor dem Schlosse und hielt getreue Wacht,
Es klangen seine Lieder sehnsüchtig durch die Nacht;
Waldvöglein wurden munter und schlugen hell darein,

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Vom süßen Schall erwachte des Königs Töchterlein.


Sie trat an’s hohe Fenster und lauschte lang’ und lang’,
Mit unsichtbaren Fäden umwand sie der Gesang;
Ihr Auge schwamm in Thränen, ihr Herz in sel’ger Qual,
Da fühlte sich so einsam das Kind zum ersten Mal.

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hertz: Gedichte. Hoffman und Campe, Hamburg 1859, Seite 210. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Gedichte_(Hertz_W)_216.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)