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Da sprach zu ihr die Mutter: „Was quälet dich für Noth?
Verbirg nicht deine Augen! Sie sind vom Weinen roth.
Was feiert deine Spindel, mein fleißig Töchterlein?
Sprich! oder soll der Mutter dein Leid verborgen sein?“

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Da sprach das Kind erröthend: „Mir wird der Tag so lang;

Könnt’ ich die Zeit nur kürzen mit Harfe und Gesang!
Nichts hör’ ich als die Brandung und Mövenschrei und Sturm,
Nur Vögel seh’ ich fliegen um den verlass’nen Thurm.“

Da lächelte die Mutter: „Und ist das all’ dein Leid?

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Sonst deuchte dir’s so fröhlich in dieser Einsamkeit;

Doch willst du Harfen lernen, frei steht dir Wunsch und Wahl!
Viel weise Sänger wandeln durch König Gewar’s Saal.“

Da führte man die Skalden zum Wettgesang herein,
Der Liederkönig sollte schön Nanna’s Meister sein.

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hertz: Gedichte. Hoffman und Campe, Hamburg 1859, Seite 212. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Gedichte_(Hertz_W)_218.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)