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der bedeutendsten humanistischen Geschichtswerke spiegelt, werden wir sehen.

Weniger im einzelnen zu fassen, aber überall spürbar ist die Wirkung der theologisch-philologischen Großtaten des Erasmus. Er begründet mit ihnen die auf Vergleichung und Klassifizierung der Handschriften beruhende Textkritik, die auf Erfassung einer bestimmten Stilpersönlichkeit fußende Echtheitskritik, lehrt in seiner Hieronymusvita die Zeitgenossen auch Werke rein erbaulichen Charakters als biographische Dokumente ihres Verfassers zu verwerten. Für Deutschland insbesondere bedeuten seine Arbeiten die endgültige Befreiung von der Autorität der Italiener und damit die wissenschaftliche Selbständigkeit. –


Will man Erasmus, den „Mann für sich“, doch an eine Entwicklungsreihe des deutschen Humanismus anschließen, so wird man am ehesten noch an Wimpfeling und die Elsässer denken können, deren Bestrebungen er auf einer höheren Stufe, freilich auch viel reiner, tiefer und zielbewußter zeigt. Celtis und Hütten, der wandernde Ritter und der wandernde Poet, setzen in gleicher Weise das humanistische Vagantentum fort, das wir in Deutschland mit Peter Luder beginnen sahen. Auch ihnen steht, wie Luder, nächst der Dichtkunst nichts näher als die Geschichte.

Die Quellen der historischen Kenntnisse Huttens sind noch nicht untersucht, aber sie liegen schwerlich tief. Was er 1518 zu Augsburg den Fürsten über die Türken sagen wollte und später drucken ließ, konnte er größtenteils dem von ihm so gut gehaßten Enea Silvio entnehmen; was er über die deutsche Tapferkeit und Volkskraft hinzufügte, stand ebenfalls schon hier oder auch bei Bebel zu lesen; der originelle Gedanke der Rede – daß der Türkenkrieg ein Ventil für die überschüssige Volkskraft und die gärende Unzufriedenheit der Massen sei – liegt nicht auf historischem Gebiet. Auch der Abriß deutscher Geschichte, den Hutten 1514 im Panegyrikus auf Albrecht von Mainz und 1521 in der „Anzeig, wie allwegen sich die römischen bischöff oder bäpst gegen die teutschen kayßeren gehalten haben“ bietet, hat nichts Auffallendes im Inhalt; die von Hutten wiederholt mit besonderem Nachdruck betonte Tatsache, daß von allen deutschen Herrschern sich Karl IV. am unwürdigsten bei der Kaiserkrönung gezeigt habe[1], war längst von Petrarka gebrandmarkt worden, und dessen Briefe darüber hatten Wimpfeling, Nauklerus und auch schon Biondo als historische Zeugnisse


  1. [248] 3) Opp. ed. Boecking IV, 176; V, 378 f.