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eigentlich noch in eine edlere Reihe gehört: er ist der „Brutus“ Germaniens, der auch List und Trug mit demselben Recht gebraucht hat wie alle anderen Tyrannenstürzer. Seit Hutten lebt Arminius als der Begründer germanischer Freiheit in unserer Geschichte.

Es hängt damit zusammen, daß der Stammespatriotismus der älteren Humanisten bei Hutten überwunden erscheint. Nur etwa wenn er seine persönliche Sache gegen Ulrich von Württemberg führt, kommt der fränkische Ritter heraus, sonst klingt es in seinen Schriften immer nur: Deutschland.


Ebenso klingt es bei Celtis[1], aber aus einem anderen Ton. In Hutten und Celtis treten die beiden Seiten deutschen Empfindens, die in Walter von der Vogelweide noch so innig vereint gewesen waren, das politische und das völkische, auseinander. Zwar weiß auch Celtis sein Sprüchlein gegen Rom, aber er ist viel weniger aus dem Zorn des Kämpfers wie aus der Verachtung des freien Geistes herausgesprochen, der zudem überzeugt ist, daß der Feind im Sterben liege.[2] Auch Celtis stellt seine Betrachtungen über Einst und Jetzt des Imperiums an, und es ist bemerkenswert, daß er dabei nicht nur, wie die meisten Zeitgenossen, an Römerzüge und kaiserliche Weltherrschaft denkt, sondern seinen Blick auf die avulsa membra imperii richtet, die zumal im Osten wirkliche Einbußen deutschen Wesens darstellten.[3] Aber seine eigentlichen Interessen liegen doch im deutschen Altertum, es wird sich zeigen, daß auch seine wichtigsten Entdeckungen aus dem Mittelalter, die Hrotsuita und der Ligurinus, mit ihnen zusammenhängen.

Es ist für die genial-phantastische Art des Celtis charakteristisch, daß er seine Vorstellungen von diesem Altertum von vornherein mit stillschweigender Verwerfung der alten Fabeln allein auf dem Tacitus aufbaut, und dies zu einer Zeit, wo Meisterlin und Fabri noch schrieben. Ebenso charakteristisch aber, daß ihm die kurzen Bemerkungen des Römers nun nicht genügen[4], sondern daß er sogleich darüber hinausstrebt, und zwar viel weniger durch geduldige Vergleichung anderer Zeugnisse, wie Nauklerus, als durch phantastische Kombination, die wieder ins Fabelhafte führen muß.

Das „Germani sunt indigenae“ ist auch für ihn die Grundlage.[5] Nach Tacitus und wohl auch Ptolemäus sucht er dann die alten Stämme im heutigen Deutschland und schiebt die Markomannen, Gepiden und Quaden tief in den sarmatischen Osten hinein, um so auch das historische Recht der Deutschen auf diesen Boden zu


  1. [248] 16) Eine kritische Biographie des Celtis haben wir mit der Herausgabe des Briefwechsels von Gustav Bauch zu erwarten; vorläufig sind folgende Schriften desselben für die einzelnen Lebensperioden zu vergleichen: Deutsche Scholaren in Krakau i. d. Zeit der Renaissance (78. Jahresbericht d. Schles. Ges. f. vaterl. Kultur 1900). Die Anfänge des Humanismus in Ingolstadt 1901. Die Rezeption [249] des Humanismus in Wien 1903. – Eine geistvolle Charakterstudie gibt Bezold in Sybels HZ. IL (1883). Über die geographischen Anschauungen des Celtis Th. Geiger, Conrad Celtis i. s. Beziehungen z. Geographie. Programm München 1896. Daselbst auch ein kurzes Verzeichnis der Werke.
  2. [249] 17) Epigramme ed. Hartfelder II, 2, 47, 48; III, 40; IV, 21, 25, 28.
  3. [249] 18) Amores I, 15; II, 9. Oratio in gymnasio in Ingolstadio publice recitata (1492); vgl. die Würdigung bei Bauch, Humanismus in Ingolstadt 38 ff.
  4. [249] 19) Locher an Celtis, Ingolstadt 1500 Ostern: (Dankt für die Übersendung der Ausgabe der Germania des Tacitus): qui licet Romanum succum Plinianamque maiestatem aliquantisper sapiat et more veterum mores et nationes depingat, non tamen satisfacere mihi videtur Germanorum moribus et clarissimo primordio, quod tu in Germania tua copiosius magnificentiusque facis. Klüpfel, De vita et scriptis Conradi Celtis II, 60. Gemeint ist die poetische Schilderung von Deutschland, die Celtis dann mit den Amores wieder drucken ließ. Vgl. oben S. 160 und die nächste Anm.
  5. [249] 20) Germania generalis (mit den Amores gedruckt): De situ Germaniae et moribus in generali.