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und letzte Zweck der Vereinigung erscheint, steht in Deutschland neben diesem die gemeinsame wissenschaftliche Arbeit, und diese richtet sich nun fast ausschließlich auf die Erforschung der Vorzeit. Es entsteht ein stürmisches Bestreben, die alten Handschriftenschätze, vor allem die Quellen der Deutschen Geschichte mit vereinten Kräften ans Licht zu ziehen und zu verwerten.[1]

Merkwürdig nun, wie so ganz anders diese Generation zu sehen versteht als ihre Vorgänger. In Lorsch hatte Luder und Mathias von Kemnat geplündert, aber sie hatten weder die ersten 5 Bücher der Varia des Cassiodor gesehen, die Dalberg dort fand, noch den kostbaren Rest der 5. Dekade des Livius, den Grynaeus dort hervorzog.[2] In Murbach hatte Meisterlin die Bibliothek geordnet und vermehrt, aber erst Beatus Rhenanus sah dort den Vellejus Paterculus, der den Humanisten bald wegen seiner Stelle über die Varusschlacht so wichtig wurde. Auch in St. Emmeram in Regensburg war Meisterlin und nach ihm Hartmann Schedel gewesen[3], sie brachten ein paar Annalenfragmente und Inschriften heim und ließen Hrotsuita und die Vita Henrici IV für Celtis und Aventin übrig. Ja, auch aus Fulda sahen wir Hutten mehr davontragen als Trithemius.

Es gibt vielleicht keinen stärkeren Beweis für die außerordentliche Erweiterung des Gesichtskreises, die sich in so wenigen Jahren vollzogen hat.

Ebenso aber ist nun das Gefühl von der Bedeutung des Gefundenen gewachsen und damit das Interesse an der Veröffentlichung. Auch hier spielt die Rivalität mit den Italienern hinein, die deutschen Schriftsteller wenigstens sollen in Deutschland erscheinen.[4]

In der Schar der Entdecker und Herausgeber steht Celtis selbst mit der Hrotsuita und dem Ligurinus voran. Ob er den Ruhm des Entdeckers ganz uneingeschränkt behauptet, ist fraglich, bei der Hrotsuita wußten die Mönche, was sie weggaben, beim Ligurinus bleibt ein Fingerzeig des Trithemius wahrscheinlich.[5] Auch an der Drucklegung mag der ewig in Schulden steckende Poet nicht allzuviel Anteil gehabt haben. Aber er war es sicher, der die Freunde gelehrt hat, Hrotsuita als die deutsche Sappho und die zehnte Muse zu feiern und über den Ligurinus an den Universitäten zu lesen wie über Statius und Vergil.[6]

Ein Jahr nach dem Ligurinus trat auch das Carmen de bello Saxonico ans Licht, von dem Freiburger Gervasius Soupher im Zorn über neue französische Angriffe, besonders über eine deutschfeindliche


  1. [249] 35) Beste Übersicht bei Wattenbach, G. Qn. I, Einleitung.
  2. [249] 36) Morneweg, Dalberg 357 f. Bursian, Gesch. d. klass. Philol. I, 157.
  3. [249] 37) Stauber, Die Schedelsche Bibliothek 55.
  4. [249] 38) S. die Äußerung des Celtis bei Saliger, Die gelehrte Donaugesellschaft (Programm Olmütz 1876) 26.
  5. [249] 39) Für Hrotsuita s. d. Ausleihschein des Celtis, wieder abgedruckt in der Neuausgabe der Opera Hroswithae von Winterfeld (SS. rer. Germanicarum in usum scholarum. Berlin 1892) und Aventins Tadelworte WW. I, 604. Für den Ligurinus insbesondere einen Brief Lorenz Behaims an Pirckheimer 1507, mitgeteilt [250] von Reicke in FGBayerns XIV, 21. Darin heißt es: „Daß er den Ligurinus drucken lassen will, daran tut er recht, weil er doch endlich seine Diebstähle zum Gemeingut macht. Ich weiß nämlich, wer bei ihm war, als er jenes Buch aus dem Kloster Ebrach erhielt. Obgleich es ihm nur geliehen wurde, hat er es dennoch bis heute nicht zurückgegeben.“ Sollte nicht hierher auch der bei Aschbach, Roswitha und Conrad Celtes 68 abgedruckte Brief des Matthäus Marschalk von Pappenheim an Celtis gehören? Ich lese Z. 4 v. u.: Praeterea vobis dudum significare volui extrudi oblivioni secretum illud, quod insignis pater abbas Tritthemius Sponhaimensis vobis bona fide insinuavit.
  6. [250] 40) Für Hrotsuita die Lobgedichte vor der Ausgabe, auch bei Klüpfel, De vita et scriptis Conradi Celtis II, 80. Dazu Amores III, 9. Epigrammata II, 69; IV, 39. Für den Ligurinus die Schlußschrift: Felici fine completus Ligurinus et per universam Germaniam et eius publica gymnasia iam notus et iuventuti Germanicae ad legendum et enarrandum praebitus primo Viennae per C[onradum] C[eltem], Friburgi per Hieronymum Baldung, Dubingi per Henricum Bebelium, Ingolstadi per Jacobum Philomosum, Lipsi per Hermannum Bostuim [!], qui in praedictis gymnasiis publico stipendio Romanas litteras feliciter profitentur. Teneo te, Europa et tota Germania.