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Anmerkungen zusammenbrachte, gibt nicht selten eine erwünschte Zusammenfassung des damaligen Wissensstandes.

Es wäre aber gegen das Wesen des Humanismus gewesen, diese Diskussion der Quellen nur in einsamer Gelehrtenarbeit zu führen. Alles drängt zu persönlichem und, wenn dieser nicht möglich ist, zu brieflichem Meinungsaustausch. Wieder ist es Celtis, der hier Bahn bricht. In seinen Gedichten hat er dem rohen Kneipenton der Deutschen das „Philosophische Gastmahl“ gegenübergestellt, wie er es in Italien kennen gelernt hatte.[1] Seine Sodalitäten haben es gepflegt und so finden wir es schließlich allerorten. Auffallend stark, viel stärker als bei den Italienern, ist bald der historische Einschlag bei diesen Diskussionen. Was Coccinius über die Translatio imperii 1506 veröffentlichte, war die Frucht einer solchen „philosophischen“ Sitzung, in der man auch andere Fragen, vor allem aus dem Kreise der Wimpfeling-Murrhoschen Diskussion über die Rheingrenze besprach.[2] Nicht lange vorher hatte ein Italiener Benvenuto de S. Georgio, der als Gesandter seines Herrn, des Markgrafen von Montferrat, bei Maximilian in Köln weilte, mit dessen Rate Marquard Breisacher ein merkwürdiges Gespräch über die italienischen Feldzüge Barbarossas, aus dem dann ein Schriftchen „Vom Ursprung der Welfen und Gibellinen“ hervorging, in dem der Italiener den ihm von seinem deutschen Partner gewiesenen Otto von Freising gegen den Juristen Bartolus und den Historiker der Visconti, Georg Merula, zu Ehren brachte.[3] Seine Ausführungen sehen wie ein Beleg zu der These aus, die Celtis selbst um 1500 vor Maximilian in Linz gegen einen Gesandten Papst Alexanders VI, Franziskus Cardulus von Narni, verfochten hatte, daß man einheimischen Schriftstellern mehr glauben müsse als Fremden.[4] Der dreiundzwanzigjährige Aventin, der das hörte, hat von dieser Diskussion eine entscheidende Anregung seiner Studien erhalten. 1509 sitzen Beatus Rhenanus und Dietrich Gresemund in Mainz zusammen und sprechen de re latina deque viris eruditis, und von dort gleitet das Gespräch zu Gresemunds Altertümersammlungen über, die denn auch dem Rhenanus zugute gekommen sind. Sogar in die sonst auf einen ganz anderen Ton gestimmten Quodlibets der Universitäten dringt die geschichtliche Diskussion: ein zu Erfurt 1515 vorgetragenes De ebrietate weiß mit merkwürdigen Anklängen an Hutten und Zitaten aus Celtis und Campano die Völlerei der Germani septentrionales zu schildern.[5]

Aber am berühmtesten sind hier wieder die Tischgespräche des Peutingerschen Kreises geworden, vor allem die, welche der


  1. [255] 84) S. Amores II, 10. Epigrammata II, 15.
  2. [255] 85) S. über die Ausgabe oben IV88. Es heißt in der Widmung an Johann Reuchlin, Johann Streler und Heinrich Winkelhofer, alle drei Richter des schwäbischen Bundes, daß an die Sitzungen des Bundesgerichts in Tübingen sich stets ein „philosophisches Gastmahl“ angeschlossen habe, bei dem u. a. folgende Fragen vorgelegt wurden: Prima an Argentina sit urbs Helvetiorum et quos Alsaticos appellamus, sint Helvetii, sicut quidam arbitrantur. Secunda an Argentinenses sint et semper fuerint Germani, in Gallia tamen siti. Tertia, an Argentina et tota Alsacia ad ius et ditionem pertineant Francorum. Quarta, an imperii translatio de Graecis sit facta ad Francos et non Germanos. Quinta, qui Galliae populi ad ius et ditionem pertineant imperii tamquam feudatarii.
  3. [255] 86) Benvenuto de S. Georgio et de Blandrate comitibus, De origine Guelphorum et Gibellinorum. Basel, Cratander 1519. Die Angaben im Text nach der Vorrede. Zur Zeitbestimmung: die Gesandtschaft fand im Auftrage des Markgrafen Bonifaz III. (1483–94) statt.
  4. [255] 87) Von Aventin mehrfach, am ausführlichsten in der Germania illustrata (WW. VI, 111) erzählt: Quisque sua melius natura cognoscere solet quam alienus, ita quidem natura comparatum est. De qua re ante triginta annos Linzii . . . in aula imperatoris Maximiliani contendit cum quodam Italo, nisi fallor, Francisco Cardulo Narniensi, legato Alexandri sexti pontificis maximi, Chunradus Celtis, Theodericus Ulsenius, Ladissolaus caesarius sacrificulus historiographus ac coeteri Germaniae doctissimi, qui tum apud augustale praetorium versabantur. Italus, ut sibi magis quam Germanis et vernaculis eorum monumentis de antiquitatibus Germaniae, illi e diverso, ut potius sibi ac suis indigenis scriptis crederetur, coram caesare litigabant, augustus ut iudex honorarius ita censuit hancque sententiam tulit uniuscuiusque gentis indigenis magis credendum esse quam alienis, modo pares sint illis peritia, diligentia atque cura: nam saepius accidere solet, ut plura de tua patria ex libris eorum, qui nunquam eo accessere, quam ab indigenarum cognitione discas.
  5. [255] 88) Für Gresemund Beatus Rhenanus, Briefwechsel edd. Horawitz und Hartfelder 27. – Das Quodlibet De ebrietate bei Zarncke, Dte. Universitäten im MA. 116 ff.