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hofft er einen Mitarbeiter in ihm zu gewinnen. Und das schien zu gelingen. Die beiden so verschiedenen Männer erscheinen einig darin, daß eine rechte Erforschung der media antiquitas sich losmachen müsse von der „Mönchstradition“[1] und zu gründen sei einerseits auf die monumentalen Überreste der Vergangenheit und anderseits auf eine genaue Kenntnis des Deutschlands der Gegenwart. Aventins „Kurzer Auszug der bairischen Chronik“, der ja eigentlich auch schon ein Programm der Germania illustrata war, noch mehr seine Karte des römischen Baierns versetzten ihn in Begeisterung.[2] Aventin bleibt für Beatus Rhenanus bis zu seinem Tode der Mann, der auf dem Gebiet der Altertumskunde „allein mehr gesehen hat, als bis jetzt fast alle.“[3] Er nimmt den Gedanken Aventins, daß die Germania illustrata durch lokale Arbeitsteilung zustande kommen müsse, lebhaft auf und sucht Gabriel Hummelberg für eine Rhaetia illustrata zu gewinnen.[4] Ihm selbst wäre dann die Alsatia illustrata übrig geblieben. Es paßt dazu, daß wir ihn in seinen Briefen gleichzeitig um die Peutingersche Tafel und das Buch des Plinius von den deutschen Kriegen und um eine Beschreibung des Rheintals bemüht sehen, die Sebastian Münster liefern soll.[5]

Aber der Plan muß bald anderen Erwägungen Platz gemacht haben. Rhenanus erkennt, wie der Humanismus überhaupt, die Unmöglichkeit, Landesgeschichte zu schreiben, ohne sie zur deutschen Geschichte zu erweitern, und anderseits zeigt ihm ein genaueres Studium der ältesten Zeiten des Elsaß, daß hier noch alles zu tun ist.[6]

So sehen wir, wie sich Rhenanus immer mehr einer bestimmt umgrenzten Periode der deutschen Frühzeit zuwendet. Mindestens seit 1525 kennt er die Notitia dignitatum, die es ihm ermöglicht, den Verwaltungsorganismus des römischen Germanien kennen zu lernen.[7] Sie wird der Gegenstand seines eifrigsten Studiums. – Auch an dieser Quelle sehen wir den Wandel der Zeiten. Einst, wohl in den Zeiten der karolingischen Renaissance, mit soviel anderen Zeugnissen des Altertums aus ihrem Heimatland nach Deutschland gewandert, wird sie in der Zeit der großen Konzilien, die ja auch für die Bildungsgeschichte von entscheidender Wichtigkeit geworden sind, neuentdeckt. Der Speirer Kodex, der sie enthält, muß auf das Basler Konzil gebracht worden sein, zwei Abschriften sind damals von ihm genommen worden. Aber noch bleiben die neuen Erkenntnisse tot. Erst Rhenanus verleiht ihnen Leben. Für ihn wird die Notitia dignitatum der Ausgangspunkt klarer Anschauungen über das Verhältnis von Römerherrschaft und Germanentum. Er hat später ausdrücklich bekannt, daß die Notitia und


  1. [258] 109) Rhenanus an Aventin l. c: Constat mediae antiquitatis homines ex magna parte monachos et nonnunquam exteros, puto Scotos, in historiis nostrarum provinciarum, quas ipsi condiderunt, saepissime labi. Dazu Aventins Antwort l. c.
  2. [258] 110) S. den nachträglich bekannt gewordenen Brief des Rhenanus an Aventin 1525 dez. 6 [WW. VI, 87] mit trefflichen Erläuterungen Leidingers.
  3. [258] 111) Rhenanus an M. Hummelberg, s. d. im Briefwechsel 370, ebenso an Lazius ibid. 565.
  4. [258] 112) S. die Briefe von Michael und Gabriel Hummelberg (Briefwechsel 352 ff.)
  5. [258] 113) Für den Plinius den Brief Gabriel Hummelbergs 1526 febr. 4 Briefwechsel 354. Für Münster Briefwechsel 358 ff. [Textbesserung bei Lenz, Geschichtsschreibung im Elsaß 271]. Der Plan ist dann auch ausgeführt worden, denn Münster sagt in der Epistola nuncupatoria vor dem Ptolemaeus von 1540: Alsatiam [259] et Brisgoviam ego observavi, usus tamen in quibusdam consilio et subsidio ornatissimi viri Beati Rhenani. Die Beschreibung der Ortenau durch Jakob Öttel aus Lahr Bfwechsel 381 ff. ist nach Knod im CBlBiblW Bd. IV, 306 wahrscheinlich an Paul Volz gerichtet.
  6. [259] 114) Aventins Ansichten über diesen Punkt im 1. Briefe an Rhenanus WW. I, 644 ff. und an Vadian ibid. 650; für die Ansicht des Rhenanus der oben zitierte Brief an Aventin vom 6. dez. 1525.
  7. [259] 115) Rhenanus hat das Stück in einem jetzt verlorenen Speirer Kodex gefunden, s. den Brief Aventins [WW. I, 654]. Der terminus ante quem ergibt sich ebenfalls aus dem Briefe an Aventin [WW. VI, 87 ff.], denn die hier besprochene Mitteilung des Rhenanus über die Besatzung von Abusina ist, wie Leidinger gesehen hat, aus der Notitia dignitatum (ed. Seeck S. 200). In den Res Germanicae und im Tacituskommentar von 1533 zitiert Rhenanus den Fund unter sehr verschiedenen Titeln, und zwar gehen die Bezeichnungen liber civitatum Gallicarum und catalogus, qua provinciae Galliae recensentur, auf die jetzt sog. Notitia Galliarum [Seeck 261 – 274], die Bezeichnung Libellus de provinciis auf den Laterculus Polemii Silvii [Seeck 254–260]; die Notitia dignitatum im engeren Sinne nennt Rhenanus Liber praefecturarum Romanarum oder Volumen de magistratibus Romanorum oder Liber de insignibus magistratuum Romanorum oder Liber de palatinis officiis oder Formula Romani imperii. – Rhenanus hat jedenfalls auch eine Ausgabe geplant (s. Briefwechsel 565); die des Gelenius von 1552 erwähnt, daß man auf seine Hilfe gerechnet habe, doch sei er, dum cunctatur, gestorben. Was aber dann als Vorrede des Rhenanus zur descriptio Illyriae provinciarum abgedruckt ist, ist nur ein Stück aus dem Brief an Lazius s. Briefwechsel 565, vgl. den Index bibliogr. Nr. 68.