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anders schreiben und aussprechen, da wir bald nicht soviel Vokale, bald mehr haben, und auch das Wort „bigunnen“ für anfangen ist nicht allen Deutschen vertraut.“ Ob Rhenanus von der früheren Entdeckung des Krist durch Trithemius wußte, ist nicht auszumachen[1], aber man sieht, wie anders er vor dem alten Pergament steht als der Abt von Sponheim. Auch daß die Burgunder und Langobarden deutsch gesprochen haben, kann Rhenanus beweisen, bei jenen aus einem Zeugnis des Apollinaris Sidonius, bei diesen aus den Ausdrücken der langobardischen Gesetze, mit denen die italienischen Juristen umsonst sich mühen. Von der gotischen Bibelübersetzung des Ulfilas, die schon Nauklerus erwähnt hatte[2], scheint er nichts gewußt zu haben. Wohl aber hat er versucht, sich ein Bild von den Eigentümlichkeiten der deutschen Sprache zu machen, auch über die Anfänge ihres Gebrauchs als Schriftsprache hat er nachgedacht.[3]


Das ist der Anfang einer deutschen Geschichte, den Beatus Rhenanus geboten hat. Ein Anfang, nicht mehr. Als einen Anfang hat es auch Rhenanus selbst betrachtet, der seine Ergänzung und Bewährung zunächst in einer Reihe von Quelleneditionen finden sollte. Es erschien noch im Sommer 1531 der ganze Prokop in lateinischer Übersetzung, dazu Agathias, die Gotengeschichte und die Weltchronik des Jordanes, auch der Brief des Apollinaris Sidonius mit der Schilderung des Westgotenkönigs Theoderichs II., von Rhenanus schon im 2. Buch der Res Germanicae verwertet. Das Ganze also in der Tat ein volumen historiae Gothicae. Rhenanus hätte auch gerne „den Ablavius, die Variae des Cassiodor und die leges Gothorum“ hinzugefügt, aber es fehlten ihm – bei Ablavius begreiflicherweise – die Handschriften. Dafür fügt er ein Vorwort an Bonifaz Amerbach bei, das mit Bebelscher Energie die Goten für die deutsche Geschichte in Anspruch nimmt und sie zugleich mit kritischer Klarheit von den Geten sondert.[4] 1533 kam die neue Tacitusausgabe, diesmal ganz von Rhenanus besorgt, deren Germaniakommentar die kulturhistorischen und sprachlichen Bemerkungen des Hauptwerks weiter ausführte.[5] Anderes sollte folgen: dem Corpus Gothicum dachte er ein Corpus Langobardicum an die Seite zu stellen[6], vielleicht hätte dann eine Ausgabe des Chronicon Urspergense, d. h. der Weltchronik des Ekkehard mit der Ursperger Fortsetzung, den Leser weiter leiten sollen.[7] Auch an eine Ergänzung seiner eigenen Arbeit durch eine Germania illustrata von Aventin scheint er gedacht zu haben.[8] Das alles blieb Projekt, ebenso wie die lange beabsichtigte Fortsetzung.


  1. [261] 136) Den Liber de ecclesiasticis scriptoribus kannte er; er hat ihm die Vita des Jordanis bei seiner Ausgabe der Scriptores Historiae Gothorum entnommen (Horawitz l. c. 324). Bfwechsel 24 erwähnt er [i. J. 1509] den Catalogus; auch Bfwechsel 460 ist der Artikel über Hraban im Catalogus gemeint. Die Briefstelle von 1509 ist aber auch deshalb merkwürdig, weil sie zeigt, daß damals wenigstens keine persönlichen Beziehungen zwischen Rhenanus und Trithemius bestanden.
  2. [261] 137) Chronicon II, 52: Vlfilas episcopus Arrianus, qui literas gotthicas primus invenit et scripturas in eorum linguam etiam divinas convertit. Daraus wohl Cuspinian, Caesares (1610) S. 112: Vulfilas Gothorum tum episcopus Gothicas literas adinvenit et in eam linguam sacram scripturam traduxit.
  3. [261] 138) Res Germ. 108: Solebat olim Maximilianus Caesar proposita mercede suos provocare ad quaerenda vel diplomata, quae ante quingentos essent annos conscripta, nam tantum Latini sermonis usus apud Germanos in conficiendis tabulis receptus fuit, id quod cum caeteris nationibus commune habuimus. Ab annis tamen centum et quinquaginta secus apud nos factum videmus. Sic Hungaricus sermo nostra aetate primum scribi coepit.
  4. [261] 139) Die Weltchronik des Jordanes war eine Erstausgabe. Die Handschrift gab Peutinger, s. Mommsen vor der Ausgabe LIV. Abdruck des Vorworts im Bfwechsel 402 ff., auch in Zapfs Ausgabe des Sermones convivales Peutingeri.
  5. [261] 140) Über die Bedeutung der Ausgabe für die Tacituskritik überhaupt Schanz, Röm. LG2 II, 2, 250. Erwähnung der Vorarbeiten in Vadians Bfwechsel V, 79 zu 1532: Beatus Rhenanus in Tacito emendando totus.
  6. [261] 141) Bfwechsel l. c, auch den Brief Herwagens S. 400 f., wo am Schluß zu lesen ist: Quos putes per hiemem autores aut historicos praelo committendos, edoce, quaeso.
  7. [261] 142) Herwagen schreibt: Chronicon Urspergensis tam indigestum et sine ordine praelo committere non est tutum. Rhenanus betrachtet Res Germ. 36 und 65 den ihm vorliegenden Text richtig als Kompilation.
  8. [261] 143) Aventin an Beatus Rhenanus 1531: Proinde nihil est omnino, quod iam Hervagio polliceri possim. Si omnino finitum est id opus, in officina eius, spondeo, publicabitur. (Aventin, WW, I, 653.)