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erst mit dem Ende ihrer Herrschaft läßt er, wie wir sahen, die germanische Freiheit wieder beginnen, und auch hier wie bei den Römern sehen wir ihn zwiespältig, ob er die Unterdrücker verdammen oder die Ordnung- und Kulturbringer preisen soll. Er weiß aus Tacitus, daß die Toren Kultur nennen, was nur ein Stück Sklaverei ist, und vergleicht die Wildheit der alten Gallier, die aber doch auch Tapferkeit war, mit dem Zustand des Landes unter der römischen und dann der fränkischen Herrschaft. „Aber,“ fügt er im zweiten Germaniakommentar hinzu, „die Gallier haben keinen Grund, diese Veränderung zu beklagen, denn sie haben die besten Gesetze, Ordnung und Gesittung von den Römern empfangen. Wir aber haben immer noch etwas zu viel von der Wildheit der Ahnen.“[1]

Man sieht, wie weit das alles von den Vorstellungen des Celtis und Hutten, aber auch von denen der Wimpfeling, Brant und Nauklerus entfernt ist. Auch Rhenanus hat teil an dem völkischen Patriotismus der Humanisten, er weiß, was es zu bedeuten hat, daß die fränkischen Barbaren ein edelstes Reich in Gallien errichtet haben, derart, daß heute noch dort, was fränkisches Blut in seinen Adern hat, dem Thron am nächsten steht[2], er hat vielleicht klarer wie ein anderer die slavische Einwanderung in den deutschen Osten als einen Verlust für Deutschland erkannt[3], er hat, wenn auch still, doch deutlich seine Stellung zu der Frage der Zugehörigkeit Burgunds und der Rivalität zwischen Deutschland und Frankreich genommen[4], aber deshalb sind seine Deutschen nicht die Ur- und Hauptnation Europas, wie bei Bebel, auch nicht die Träger einer uralten Kultur, wie bei Celtis. Ja auch das Imperium spielt bei ihm eine andere Rolle als bei jenen, sein Buch ist wohl die einzige deutsche Geschichte, die die Kaiserkrönung Karls des Großen gar nicht berichtet. Dagegen lesen wir bei ihm zum ersten Male seit Trithemius wieder von einem regnum Germanicum als dem Zusammenschluß der deutschen Stämme; das Kaisertum Ottos I. ist nicht Weltherrschaft, es ist nichts mehr als die Ausdehnung dieses deutschen Königreichs über das alte germanische Burgunden- und Langobardenland.[5]

Und endlich glaubt Rhenanus auch nicht, daß die Römer und Griechen das Lob der Deutschen absichtlich verschwiegen haben, wie Bebel und Wimpfeling meinen, wir sehen ihn nicht auf der Suche nach den alten Liedern als den wahren Geschichtsquellen, wie Aventin, für ihn ist das germanische Altertum eine kulturlose Zeit, die ihr Licht nur durch die Reste der Römerkultur und die Zeugnisse der außenstehenden Beobachter erhält.


  1. [264] 158 a) Tacitus l. c. 423.
  2. [264] 159) Res Germ. 39: Isti vero barbari nobilissimum in Gallia regnum constituerunt, quae perpetua Germanorum laus est, multisque saeculis tenuerunt, donec paulatim absorberentur. At inter Gallos hodie, ut quisque procerum plus Francici sanguinis a maioribus suis habet, ita regno fit propior. Et durat adhuc durabitque inclitum Francorum nomen. Quem enim pudeat a tam strenua gente duxisse originem? Certe Romanos minus de sui initio gloriari licet.
  3. [264] 160) Res Germ. 80: Inter mimos Publianos nobilis versus extat: Ab alio expectes, alteri quod feceris, qua sententia nihil verius. Fit autem plerumque, ut quod aliis intulimus, ipsi perferre etiam cogamur. Germani Romanorum provincias vicinas perpetuis incursionibus exhauserunt, deinde totas occuparunt. – Interim supervenere, qui Germaniam ipsam miseris modis vexarent et in fertilissimis regionibus domicilium figerent, nunquam excutiendi, nempe Sclavini...
  4. [264] 160 a) S. seine Erörterung über die Erwerbung „Arelats“ durch Heinrich I. Res Germ. 95 dazu 98. Horawitz 332 bemerkt, daß dies unhistorisch sei. Es liegt aber, wie die von Rhenanus genannten Städte zeigen, eine getrübte Erinnerung an die lothringischen Händel zugrunde.
  5. [264] 161) Res Germ. 96 und 98.