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zu den Eponymen. Da wünscht er, daß die Bilder der uralten deutschen Fürsten Tuisko, Mannus, Wigewon, Heriwon, Eusterwon, Marsus, Gambrivius, Suevus und der anderen in Wandmalereien ihre Stelle finden, und wenn er dabei auch seine alten Forschungen nicht zu verleugnen brauchte, nach denen nicht der Mann dem Volk, sondern das Volk dem Manne den Namen gegeben habe, so war dies doch derselbe Weg, der andere in ein neues Phantasiereich führte, das um nichts besser war als das frühere.[1]

Was aber die sprachlichen Bestrebungen des Rhenanus so merkwürdig macht, das ist die großartige Auffassung von der Kontinuität der Sprachentwicklung. „Bei Tacitus,“ sagt er[2], „raten die Tenkterer den Ubiern, die gerade in den Verband der Germanen zurückgetreten waren, sie sollten die vaterländischen Einrichtungen und Sitten wieder annehmen. Von der Sprache sagen sie das nicht, denn sie verlernt sich schwer und spät, und sie ist unveränderlich, wenn nicht ein Volk gerade vernichtet wird, wie die Longobarden in Italien, oder im Laufe der Zeiten aufgesogen wird, wie es offenbar den Burgundern und anderen Stämmen ergangen ist.“ Fast als das Wunderbarste und zugleich das Weiseste bei den Römern erscheint ihm, daß sie den unterjochten Völkern ihre Sprache aufgezwungen hätten. Hier weist er vorwärts zu den Bestrebungen echter Sprachforschung.

Auch hier also ist bei mancher Ähnlichkeit der Ergebnisse doch eine breite Kluft zwischen dem, was Rhenanus wollte, und den Phantasien von Celtis und Bebel, die der Verwandtschaft der deutschen und der griechischen Sprache nachgingen. Rhenanus meint wohl auch, es könnten sich im Deutschen römische, griechische und selbst hebräische Worte finden[3], aber es reizt ihn nicht, sie zu suchen, wie es Aventin und Münster taten. „Stultum est,“ sagt er einmal, „nimium in antiquitatem inquirere.“ Sein Bestreben ist auch hier das gleiche wie bei seinen philologischen Emendationen: er will den Wust fälschender Überlieferung, der sich zwischen das deutsche Altertum und die Gegenwart gestellt hat, fortschaffen und ist überzeugt, daß sich dann das Alte von selbst aus dem Späteren erklären werde. „Großen Dank schuldet mir,“ sagt er einmal, als er gerade recht kunstvoll den Melibokus durch das Mittel von Katzenellenbogen von den Chatten abgeleitet hat[4], „das Chatten-Melibokervolk, daß es seinen Namen nachträglich durch meine Bemühungen wiedererhalten hat. O gute Götter, wenn die Gelehrten sich auf solche Forschung verlegen wollten, wieviel Licht könnte in die alte Zeit gebracht werden! Das hieße wahrlich Deutschland erläutern.“


  1. [265] 174) Bfwechsel 502 An Matthias Erb 1543 juli 29. Dazu Res Germ. 116 und 180.
  2. [265] 175) Res Germ. 80.
  3. [265] 176) Tacituskommentar von 1533 S. 422: Maiores nostri multa vocabula sunt a Graecis mutuati, ut et nonnulla a Romanis ac ab Hebraeis paucula. Dazu Res Germ. 110: Dictiones quaedam etiam diversissimis populis communes nonnunquam existunt. Unde etiam Hebraicas voces reperies in nostrate sermone.
  4. [265] 177) Res Germ. 56.