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Briefwechsels zeigen ihn ganz in den Bahnen der Forschertätigkeit des Rhenanus.[1] Er hat Inschriften von Ungarn bis zum Inn gesammelt, Altertumsfunde jeder Art mit Interesse verfolgt, und will nun dies alles zu einer „Archäologie“ der alten und neuen Besitzungen des Donaustaates verarbeiten. In seinen Bemerkungen über die Ausdehnung vom Illyrikum unter den Kaisern und der Ansetzung von Karnuntum erscheint er scharfsinnig und gelehrt zugleich, so daß Rhenanus von der in Aussicht gestellten Österreichischen Geschichte sich wohl einen Ersatz für die im Archiv der Münchener Herzoge verschwundenen Annalen Aventins versprechen konnte. Aus dem Vorwort zu der ersten historischen Veröffentlichung des Lazius, seiner Vienna Austriae von 1546, sehen wir, daß Lazius sogar in der Form einen Anschluß an Rhenanus anstrebt. Er will, wie dieser, keine fortlaufende Erzählung geben, sondern einzelne Kapitel, die stets die Belegstellen in Originalform enthalten sollen.[2] Das ist, soweit wir sehen können, überhaupt seine Darstellungsform geblieben, er scheidet sich also ebenso bewußt wie Rhenanus von dem Stilisierungsprinzip der italienischen Geschichtschreibung und von der Weise Aventins.

Sehen wir dann die beiden Geschichtswerke an, in denen Lazius den antiquarischen Unterbau seiner Österreichischen Geschichte gegeben hat, die Res publica Romana in exteris provinciis constituta und die Gentium migrationes[3], so erscheinen sie beide als Ausführungen von Abschnitten der deutschen Geschichte des Rhenanus. Das erste betrachtete die Provinzen vom Standpunkt des römischen Weltreichs „tam incipientis et florentis quam declinantis“, wie es Rhenanus in den einleitenden Abschnitten seines Buchs getan hatte, das zweite suchte die Völkerwanderung als ein Ganzes zu erfassen, wieder durchaus im Sinne des Rhenanus.[4] Ja, man kann sagen, daß zwei Hauptgedanken des Rhenanus bei Lazius noch eine verstärkte Bedeutung erhalten haben. Denn wenn er mit Rhenanus die Franken als Nachfolger römischer Verwaltungs- und Regierungskunst betrachtet[5], so ist das für seine imperialistische Geschichtsbetrachtung keine vorübergehende Knechtung, aus der sich die altgermanische Freiheit wieder erhebt, sondern die Begründung der rechten Herrschergewalt, gegen welche die „teutsche Libertät“ seiner Tage ihm als Unfug erscheint[6], und die Lehre von dem Aufgehen der Stämme in anderen, die Rhenanus zunächst nur zur Beantwortung der Frage, woher Franken, Alemannen, Sachsen und Baiern seien, herangezogen hatte, wird noch viel wichtiger für den Geschichtschreiber


  1. [267] 209) Briefwechsel des Rhenanus nr. 401 und 423; doch ist nach Mayr 7 der Brief nr. 423 zum 30. juli 1545 zu datieren und vor nr. 401 zu setzen, dieser also dann wohl zum 30. Sept. Die am Anfang von nr. 423 erwähnte explicatio thesauri Dacici steht, wie sich aus Mayr 57 ergibt, in clm. 9216 f. 11–14. Die [268] andern bei Mayr 75 aus cod. vindob. 8457 angeführten Bruchstücke der Korrespondenz zwischen Rhenanus und Lazius werden doch wohl in denselben Zusammenhang und nicht, wie Chmel wollte, zu 1538 gehören.
  2. [268] 210) Praefatio zur Vienna: Nos in commentariis his aperta usi sumus dictione, oratione vero ab annalium instituto haud diversa. Viennae quoque, non Austriae scribimus historiam; atque in ea non perpetuo et pleno incedimus dicendi genere (quod in commentariis rerum Austriacarum facimus), sed per capita divisam, authorum locis insertis et lectione et fide dignam facimus: imitati in hoc Beatum Rhenanum praeceptorem nostrum, qui in rerum Germanicarum commentariis idem prior fecit, sed felicius et grata magis dictione. Horawitz in ADB. XVIII, 89 ff. faßt das falsch auf, Mayr l. c. 4 scheint mir die Worte falsch zu beziehen; übrigens sind, soweit Mayrs Mitteilungen ein Urteil gestatten, auch die Commentarii rerum Austriacarum im „Annalenstil“ verfaßt.
  3. [268] 211) S. die umfänglichen Titel beider Werke, die zugleich Inhaltsangabe sind, bei Aschbach l. c. 2241 und 2271.
  4. [268] 212) Über das Verhältnis beider Werke sagt die Praefatio der Gentium migrationes (Ausgabe von 1557) S. 4: Istic (in der Res publica Romana) quae a Romanis in provinciis secus Istrum et Rhenum virtute conquisitis (quas nunc Austriades tenent) gesta atque constituta, apud ceteras gentes celebria et apud posteritatem memorabilia fuere, prosecuti sumus . . Superest nunc adeo, ut quando Romanos ex illis barbarae gentes et ex his praecipue Teutonici expulerunt, nova constituta rerum administratione, vel saltem cum Romanis confusa moribus, Gallograeci Celtae, Taurisci, Carni, Boii, Senones, Suevi, Marcomanni, Quadi, Vandili, Gothi, Gepides, Heruli, Burgundiones et Langobardi, eorum etiam populorum doceamus.
  5. [268] 213) Gentium migr. 449: Hos [sc. Romanos] secuti Franci, ut in ceteris omnibus, . . . provincias atque regiones pagos appellarunt.
  6. [268] 214) Gentium migr. 625 (zu Tacitus, Germania 12 u. 13): Videmus in publicis comitiis Imperii, quam interdum cunctentur, qui convenire debent, videmus, quam suadendo magis quam iubendo, qui ceteris praesunt, inducere ad conclusa cogantur . . . Manserunt et comites, qui districtus certos gubernabant, quos gentilicia lingua gravios, marchgravios, landgravios et landvogtos appellabant, centenarii legibus Salicis dicti. Nostro saeculo officium in dignitatem transiit et quod olim nutu principis mutabatur, factum est postea hereditarium. Hinc tot landgravii in Germania, tot marchgravii, tot pfalzgravii et tot denique landvogti, qui solo [soli?] adhuc mutantur. Vgl. dazu die Verteidigung der Monarchie unter einheitlicher Regierung bei Mayr 47 (Einfluß Cuspinians? S. dessen Caesares, Vorrede).