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Sechstes Kapitel.
Ricos Mutter.

Über den Weg von Sils her kam an einem Stab der Lehrer gegangen. Er hatte an dem Begräbnis teilgenommen. Er hustete und keuchte, und als er nun bei der Großmutter angekommen war und einen „Guten Abend“ geboten hatte, setzte er hinzu: „Wenn es Euch recht ist, Nachbarin, so sitze ich einen Augenblick neben Euch, denn ich habe es stark in dem Hals und auf der Brust; aber was kann unsereins sagen mit bald siebzig Jahren, wenn man solche begräbt, wie den heute. Er war noch nicht fünfunddreißig und ein Mann wie ein Baum.“

Der Lehrer hatte sich neben die Großmutter niedergesetzt.

„Es gibt mir auch zu denken“, sagte diese, „daß ich, eine Alte, Fünfundsiebzigjährige, übrig bleibe und da und dort ein Junges fort muß, von dem man denkt, es wäre noch nötig gewesen.“

„Die Alten werden auch noch zu etwas gut sein. Wo wäre sonst ein Beispiel für die Jungen?“ bemerkte der Lehrer. „Aber was meint Ihr, Nachbarin, was soll nun aus dem Büblein werden da drüben?“

„Ja, was soll aus dem Büblein werden?“ wiederholte die Großmutter; „ich frage auch so, und wenn ich nur auf die Menschen sehen wollte, so wüßte ich keine Antwort. Aber es ist noch ein Vater im Himmel, der die verlassenen Kinder sieht. Er wird auch einen Weg für das Büblein finden.“

Empfohlene Zitierweise:
Johanna Spyri: Heimatlos. Gotha 1878, Seite 27. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Heimatlos_(Spyri)_027.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)