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sagte er: „Seid so gut und nehmt dort die Geige herunter und bringt sie dem Waisenbüblein; ich will sie ihm schenken, er soll Sorg' dazu haben.“

Die Großmutter mußte sich aufs höchste verwundern und einmal über das andere ausrufen: „Was wird der Rico machen! Was wird der Rico sagen!“

Dann bemerkte sie, daß der Lehrer ein wenig unruhig wurde, so, wie wenn die Sache Eile hätte. So verließ sie ihn bald und eilte nun, so sehr sie konnte, mit ihrem Geschenk unter dem Arm übers Feld, denn sie konnte selbst kaum erwarten, daß der Rico sein Glück erfahre.

Der stand unter der Haustür; auf den Wink der Großmutter kam er ihr entgegengelaufen.

„Da, Rico“, sagte sie und hielt ihm die Geige hin, „die schickt dir der Lehrer zum Geschenk, sie ist dein.“

Rico stand da wie im Traume, aber es war so; die Großmutter streckte ihm wirklich die Geige entgegen.

„Nimm sie, Rico, sie ist dein“, wiederholte sie.

Zitternd vor Freude und innerer Aufregung ergriff Rico jetzt seine Geige, nahm sie in den Arm und schaute sie unverwandt an, so, als könne sie ihm wieder wegkommen, wenn er einmal weggehen würde.

„Du sollst auch Sorg' dazu haben“, ergänzte die Großmutter ihren Auftrag; sie mußte aber ein wenig lachen, es kam ihr nicht vor, daß die Ermahnung nötig sei. „Und Rico, denk auch an den Lehrer und vergiß nie, was er an dir getan hat; er ist sehr krank.“

Nun trat die Großmutter in ihr Haus ein, und Rico eilte mit seinem Schatz in seine Kammer hinauf, dort war er immer ganz allein.

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Johanna Spyri: Heimatlos. Gotha 1878, Seite 32. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Heimatlos_(Spyri)_032.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)