Seite:De Heimatlos (Spyri) 061.jpg

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Als sich Rico vom Boden erhob, war die Sonne schon weit unten und ein goldener Abendschein lag auf dem See. Nun wurden die Berge violett, und ein rosiger Duft lag rings über den Ufern. So hatte Rico seinen See im Sinne gehabt und im Traum gesehen, und noch viel schöner war alles, nun er es wieder mit seinen Augen sah. Rico dachte in einem fort, wie er so dasaß und schaute und nicht genug schauen konnte: „Wenn ich doch das alles dem Stineli zeigen könnte!“

Nun war die Sonne untergegangen und das Licht erlosch ringsumher. Rico stand auf und schritt der Straße zu, wo er die roten Blumen gesehen. Von der Straße ging ein schmaler Weg dahin. Da standen sie, ein Busch am anderen, es war aber wie ein Garten anzusehen; es war freilich nur ein ganz offener Zaun darum herum, und im Garten waren Blumen und Bäume und Weinranken, alles durch- und ineinander zu sehen.

Da droben am Ende stand ein schmuckes Haus mit offener Tür, und im Garten ging ein junger Bursche hin und her und schnitt da und dort große goldgelbe Trauben von den Reben und pfiff wohlgemut ein Lied dazu.

Rico schaute die Blumen an und dachte: „Wenn Stineli diese sehen könnte!“ und stand lange unbeweglich am Zaun.

Jetzt erblickte ihn der Bursche und rief ihm zu: „Komm herein, Geiger, und spiel ein schönes Liedchen, wenn du eins kannst.“

Das rief ihm der Knabe italienisch zu, und dem Rico war es ganz sonderbar dabei; er verstand, was er hörte, aber er hätte nicht so sprechen können. Er trat in den Garten ein, und der Bursche wollte mit ihm reden; wie

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Johanna Spyri: Heimatlos. Gotha 1878, Seite 61. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Heimatlos_(Spyri)_061.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)