Seite:De Heimatlos (Spyri) 072.jpg

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gehen und mit ihr zu sprechen, denn der Rico könne nichts versprechen so von sich aus, er müsse folgen.

Endlich ließ der Kleine das Wämschen los und gab Rico die Hand, und dieser ging ungern aus der Stube weg. Er wäre lieber dageblieben, wo es so still war und alles so gut aussah und Silvio und die Mutter so freundlich mit ihm waren. –

Es vergingen wenige Tage, da trat eines Abends die Frau Menotti ganz aufgeputzt in die „Goldene Sonne“ ein, und die Wirtin lief ihr entgegen und führte sie in den oberen Saal hinauf. Da fragte denn Frau Menotti ganz höflich, ob es der Frau Wirtin nicht ungelegen wäre, ihr für ein paar Abende der Woche den Rico zu überlassen; er unterhalte ihr das kranke Büblein so gut und sie wollte gern erkenntlich sein dafür in jeder gewünschten Weise.

Es schmeichelte der Wirtin, daß die wohlangesehene Frau Menotti sie so um einen Dienst zu bitten kam, und es wurde gleich festgesetzt, daß Rico an jedem freien Abend kommen würde, und Frau Menotti übernahm dagegen, für Ricos Bekleidung zu sorgen, so daß die Wirtin überaus befriedigt war mit der Einrichtung; denn nun hatte sie keinen Heller für den Knaben auszugeben und den reinen Gewinn von ihm. So schieden die Frauen beide in der größten Zufriedenheit voneinander. –

So vergingen für Rico die Tage. In kurzer Zeit sprach er so geläufig italienisch, als hätte er es immer gekonnt. Und einmal hatte er es auch gekonnt; so fiel ihm eins nach dem anderen ohne Mühe wieder ein, und er hatte ein gutes Ohr und sprach wie ein völliger Italiener, so daß sich alle Leute darüber verwundern mußten. Die Wirtin konnte ihn so gut brauchen, wie sie nicht einmal erwartet hatte,

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Johanna Spyri: Heimatlos. Gotha 1878, Seite 72. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Heimatlos_(Spyri)_072.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)