Seite:De Heimatlos (Spyri) 078.jpg

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und daß sie ihn nicht bekäme, unter keiner Bedingung. So beschwichtigte sie den Silvio, wie sie nur konnte, und den Rico zog sie an sich und sagte voller Mitleid: „Ach du armes Waislein!“

Da schrie Silvio in seinem Zorn: „Was ist ein Waislein? Ich will auch ein Waislein sein!“

Nun kam auch die Frau Menotti in Aufruhr und rief: „Ach Silvio, willst du dich noch versündigen? Sieh, ein Waislein ist ein armes Kind, daß keinen Vater und keine Mutter hat und gar nirgends auf der Welt daheim ist.“

Rico hatte seine dunkeln Augen auf die Frau geheftet, sie sahen immer schwärzer aus, sie bemerkte es aber nicht. Sie hatte gar nicht mehr an den Rico gedacht, als sie Silvio in der Aufregung die Erklärung gab. Rico schlich leise zur Tür hinaus und fort. Frau Menotti dachte, er sei so leise fortgegangen, damit der Kleine nicht noch einmal aufgebracht werde, und es war ihr recht. Sie setzte sich nun an das Bettchen und sagte: „Hör, Silvio, ich will dir's erklären und dann mußt du diesen Lärm nicht mehr machen. Siehst du, die Buben kann man einander nicht nur so wegnehmen, denn wenn ich der Wirtin nun den Rico nehmen wollte, so könnte sie kommen und mir den Silvio nehmen. Dann könntest du den Garten und die Blumen nie mehr sehen und müßtest allein in der Kammer schlafen, wo das Roßgeschirr hängt und wo der Rico so ungern hineingeht; er hat dir's ja schon manchmal erzählt. Was wolltest du dann machen?“

„Wieder heimgehen“, sagte der Kleine entschlossen. Er blieb aber nunmehr still und legte sich aufs Ohr.

Rico ging durch den Garten und über die Straße weg hinab an den See. Da setzte er sich auf sein Plätzchen

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Johanna Spyri: Heimatlos. Gotha 1878, Seite 78. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Heimatlos_(Spyri)_078.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)