Seite:De Heimatlos (Spyri) 094.jpg

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Augenblick aus, den Pferden wurde ein Futter gegeben. Rico stieg auch aus dem Wagen; er ging zum Kutscher hin und fragte ganz demütig: „Darf ich mit Euch auf dem Bock fahren bis nach Sils?“

„Steig auf“, sagte der Kutscher.

Und nun stieg alles wieder ein und auf und im lustigen Trab ging es abwärts und die ebene Straße dahin. Jetzt kam der See. Dort lag die waldige Halbinsel, und dort – das waren die weißen Häuser von Sils, und drüben lag Sils-Maria. Das Kirchlein schimmerte in der Morgensonne, und dort gegen den Berg hin sah er die beiden Häuschen.

Jetzt fing Ricos Herz stark zu klopfen an. Wo konnte Stineli sein? Nur noch wenige Schritte, und der Postwagen hielt an in Sils.

Stineli hatte seit Ricos Verschwinden viele harte Tage erlebt. Die Kinder wurden größer, und es gab immer mehr Arbeit und das meiste fiel auf Stineli; denn es war das älteste von den Kindern und neben den Alten war es doch das Jüngste; so hieß es bald: „Das Stineli kann dies tun, es ist ja alt genug“, und dann gleich nachher: „Das kann Stineli verrichten, denn es ist noch jung.“ Die Freude konnte es mit niemandem mehr recht teilen, seit der Rico fort war, wenn es noch einen Augenblick Zeit dazu gehabt hätte.

Vor dem Jahre war dann die gute Großmutter gestorben, und von da an gab es für Stineli auch keine freien Augenblicke mehr; denn vom Morgen bis am Abend war da so viel Arbeit zu tun, daß man nie fertig wurde, sondern nur immer mittendrin war.

Aber Stineli hatte seinen guten Mut nie verloren, obschon es um die Großmutter stark hatte weinen müssen

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Johanna Spyri: Heimatlos. Gotha 1878, Seite 94. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Heimatlos_(Spyri)_094.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)