Seite:De Heimatlos (Spyri) 158.jpg

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Der Wolken, Luft und Winden
Gibt Wege, Lauf und Bahn,
Der wird auch Wege finden,
Da dein Fuß gehen kann.“

Als Wiseli zu Ende war, sah es, daß die Mutter am Entschlafen war, sie sagte nur noch mit leisem Ton: „Denk daran, Wiseli! Und wenn du einmal keinen Weg mehr vor dir siehst und es dir ganz schwer wird, dann denk in deinem Herzen:

'Er wird auch Wege finden,
Da dein Fuß gehen kann.'“

Nun legte die Mutter sich müde hin und entschlief, und Wiseli wollte sie nicht wecken. Es legte sich mäuschenstille an sie heran, und bald schlief es auch ganz fest. So brannte die kleine, matte Lampe in dem stillen Stübchen fort, immer matter, bis sie von selbst erlosch und das Häuschen dunkel dastand auf dem hellen Mondscheinplatz.

Als am folgenden Morgen die Nachbarin um das Haus herum zum Brunnen ging, schaute sie durch das niedere Fenster in das Stübchen herein, wie sie immer tat im Vorbeimarsch. Da sah sie, wie Wiselis Mutter auf dem Kissen schlief und wie das Kind daneben stand und weinte. Das kam ihr so sonderbar vor, sie mußte nachsehen, was da geschehen sei. Sie machte ein wenig die Tür auf und sagte: „Was hast du, Wiseli; ist die Mutter kränker?“ Wiseli schluchzte zum Erbarmen und stöhnte hervor: „Ich weiß nicht, was die Mutter hat.“

Das arme Kind ahnte wohl, was mit der Mutter war, aber es konnte ja nicht begreifen, daß es sie verloren hatte. Sie war ja noch da, aber sie war entschlafen für das ganze

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Johanna Spyri: Heimatlos. Gotha 1878, Seite 158. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Heimatlos_(Spyri)_158.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)