Seite:De Heimatlos (Spyri) 230.jpg

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es wollte nichts berühren, bis er auch dabei war. So ging es wieder hinein, und auf der Stelle stand der traurige Gedanke wieder vor ihm und es mußte ihm wieder nachhangen. Aber endlich wurde es so müde davon, daß sein Kopf ihm auf die Schulter fiel und es fest einschlief; aber noch im Schlaf mußte es immer sagen: „Und morgen muß ich zum Vetter-Götti.“ Und Wiseli sah nicht, wie leise der helle Abendschein in die Stube hineinfiel und einen schönen Tag verkündigte.

Wiseli schoß auf, als jemand die Stubentür öffnete; es war der Schreiner Andres. Das Glück leuchtete ihm aus den Augen wie heller Sonnenschein, so hatte ihn Wiseli noch nie gesehen. Es schaute verwundert zu ihm auf. Jetzt mußte er auf seinen Stuhl sitzen und Atem holen vor Bewegung, nicht vor Erschöpfung; dann rief er mit triumphierender Stimme:

„Es ist wahr, Wiseli, es ist alles wirklich wahr! Die Herren haben alle 'Ja' gesagt. Du gehörst mir, ich bin dein Vater, sag mir einmal 'Vater'!“

Wiseli war ganz schneeweiß geworden; es stand da und starrte den Andres an, aber es sagte kein Wort und bewegte sich nicht.

„Ja so, ja so“, fing Andres wieder an; „du kannst es ja nicht begreifen, es kommt mir alles durcheinander vor Freuden; jetzt will ich von vorn anfangen. Siehst du, Wiseli, jetzt eben habe ich es in der Kanzlei verschrieben: du bist jetzt mein Kind und ich bin dein Vater, und du bleibst hier bei mir für immer und gehst nie mehr zurück zum Vetter-Götti, hier bist du daheim, hier bei mir.“

Jetzt hatte Wiseli alles begriffen. Auf einmal sprang es auf den Andres zu und umfaßte ihn mit beiden Armen

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Johanna Spyri: Heimatlos. Gotha 1878, Seite 230. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Heimatlos_(Spyri)_230.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)