Seite:De Kinder und Hausmärchen Grimm 1819 V1 077.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.


14.


Die drei Spinnerinnen.


Es war ein Mädchen faul und wollte nicht spinnen, und die Mutter mogte sagen was sie wollte, sie konnte es nicht dazu bringen: endlich übernahm die Mutter einmal Zorn und Ungeduld, daß sie ihm Schläge gab, worüber es laut zu weinen anfing. Nun fuhr gerade die Königin vorbei und als sie das Weinen hörte, ließ sie anhalten, trat in das Haus und fragte die Mutter, warum sie ihre Tochter schlüge, daß man draußen das Weinen höre. Da schämte sich die Frau, daß sie die Faulheit ihrer Tochter sollte offenbaren und sprach: „ich kann sie nicht vom Spinnen abbringen, sie will immer und ewig spinnen und ich bin arm und kann den Flachs nicht herbeischaffen.“ „Ei, antwortete die Königin, ich hör nichts lieber als spinnen und bin nicht vergnügter als wenn die Räder schnurren; gebt mir eure Tochter mit ins Schloß, ich habe Flachs genug, da soll sie spinnen, so viel sie Lust hat.“ Die Mutter wars von Herzen gern zufrieden und die Königin nahm das Mädchen mit. Als sie ins Schloß gekommen waren, führte sie es hinauf zu drei Kammern, die lagen von unten bis oben voll vom schönsten Flachs. „Nun spinn mir diesen Flachs, sprach sie, und wenn du es fertig bringst, so sollst du meinen ältesten Sohn zum Gemahl haben; bist du gleich arm, so acht ich nicht darauf, dein unverdroßener Fleiß ist Ausstattung genug.“ Das Mädchen erschrack innerlich, denn es konnte den Flachs nicht spinnen und wärs dreihundert Jahr alt geworden und hätte jeden

Empfohlene Zitierweise:
Brüder Grimm: Kinder- und Haus-Märchen Band 1 (1819). Berlin: G. Reimer, 1819, Seite 77. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Kinder_und_Hausm%C3%A4rchen_Grimm_1819_V1_077.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)