Seite:De Kinder und Hausmärchen Grimm 1819 V1 248.jpg

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einen schönen Knaben gebar, da übte die falsche Schwiegermutter denselben Betrug aus, aber der König konnte sich nicht entschließen, ihren Reden Glauben beizumessen und sprach: „sie ist stumm und kann sich nicht vertheidigen, sonst würde ihre Unschuld an den Tag kommen.“ Als aber zum drittenmal die Alte das neugeborne Kind raubte und die Königin anklagte, die kein Wort zu ihrer Vertheidigung sprach, da konnte der König die Gesetze nicht länger abwenden und sie ward verurtheilt, durch Feuer vom Leben zum Tod gebracht zu werden.

Als der Tag herankam, wo das Urtheil sollte vollzogen werden, da war auch gerade der letzte Tag von den sechs Jahren, in denen sie nicht sprechen und nicht lachen durfte, um ihre lieben Brüder aus des Zaubers Macht zu befreien. Die sechs Hemden waren fertig geworden, nur daß an dem letzten der linke Aermel fehlte. Wie sie nun zum Scheiterhaufen geführt wurde, nahm sie die sechs Hemden mit sich und als sie oben stand und das Feuer eben sollte angezündet werden, schaute sie aufwärts und sah sechs Schwäne durch die Luft her ziehen. Da regte sich ihr Herz in Freuden und sie sprach zu sich: „ach Gott, nun soll die schwere Zeit herum seyn!“ Die Schwäne rauschten bald über ihr und senkten sich herab, daß sie die Hemden überwerfen konnte, und wie sie davon berührt waren, fielen die Schwanenhäute ab und ihre Brüder standen leibhaftig, frisch und schön vor ihr; nur dem sechsten fehlte der linke Arm und er hatte dafür einen Schwanenflügel an dem Rücken. Sie herzten sich und küßten sich und die Königin ging darauf zum König, der ganz bestürzt war, und

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Brüder Grimm: Kinder- und Haus-Märchen Band 1 (1819). Berlin: G. Reimer, 1819, Seite 248. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Kinder_und_Hausm%C3%A4rchen_Grimm_1819_V1_248.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)