Seite:De Kinder und Hausmärchen Grimm 1819 V1 281.jpg

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zum Morgen, da war alles Stroh versponnen und alle Spulen voll Gold. Als der König kam und nachsah, da erstaunte er und freute sich, aber sein Herz wurde nur noch begieriger und er ließ die Müllerstochter in eine andere Kammer[1] voll Stroh bringen, die noch viel größer war und befahl ihr, das auch in einer Nacht zu spinnen, wenn ihr das Leben lieb wäre. Das Mädchen wußte sich nicht zu helfen und weinte, da ging abermals die Thüre auf und das kleine Männchen kam und sprach: „was giebst du mir, wenn ich dir das Stroh zu Gold spinne?“ „Meinen Ring von der Hand,“ antwortete das Mädchen. Das Männchen nahm den Ring und fing wieder an zu schnurren mit dem Rade, und hatte bis zum Morgen alles Stroh zu glänzendem Gold gesponnen. Der König freute sich über die Maßen bei dem Anblick des Goldes, war aber noch nicht satt, sondern ließ die Müllerstochter in eine noch größere Kammer voll Stroh bringen und sprach: „die mußt du noch in dieser Nacht verspinnen, wann dir das gelingt, sollst du meine Gemahlin werden;“ denn, dachte er, eine reichere Frau kannst du auf der Welt nicht haben. Als das Mädchen allein war, kam das Männlein zum drittenmal wieder und sprach: „was giebst du mir, wenn ich dir noch diesmal das Stroh spinne?“ „Ich habe nichts mehr,“ antwortete das Mädchen. „So versprich mir, wann du Königin wirst, dein erstes Kind.“ Wer weiß, wie das noch geht, dachte die Müllerstochter und wußte sich auch in der Noth nicht anders zu helfen, so daß sie es dem Männchen versprach und das Männchen spann noch einmal das Stroh zu Gold. Und als am Morgen der König kam und alles


  1. Vorlage: Kummer
Empfohlene Zitierweise:
Brüder Grimm: Kinder- und Haus-Märchen Band 1 (1819). Berlin: G. Reimer, 1819, Seite 281. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Kinder_und_Hausm%C3%A4rchen_Grimm_1819_V1_281.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)