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Schrift theils noch nicht durch Einführung des Fremden stört, oder durch Ueberladung abstumpft, theils, weil sie sichert, dem Gedächtniß noch nicht nachlässig zu werden gestattet, überhaupt bei Völkern, deren Literatur unbedeutend ist, pflegt sich als Ersatz die Ueberlieferung stärker, und ungetrübter zu zeigen. So scheint auch Niedersachsen mehr als andere Gegenden behalten zu haben. Was für eine viel vollständigere und innerlich reichere Sammlung wäre im 15ten Jahrhundert, oder auch noch im 16. zu Hans Sachsens und Fischarts Zeiten in Deutschland möglich gewesen.[1]

Einer jener guten Zufälle aber war es, daß wir aus dem bei Cassel gelegenen Dorfe Nieder-Zwehrn eine Bäuerin kennen lernten, die uns die meisten und schönsten Märchen des zweiten Bandes erzählte. Diese Frau, Namens


  1. Merkwürdig ist, daß es bei den Galliern nicht erlaubt war, die überlieferten Gesänge aufzuschreiben, während man sich der Schrift in allen übrigen Angelegenheiten bediente. Cäsar, der dies anmerkt (de B. G. VI. 4.) glaubt, daß man damit habe verhüten wollen, im Vertrauen auf die Schrift, leichtsinnig im Erlernen, und Behalten der Lieder zu werden. Auch Thamus hält dem Theuth (im Phädrus des Plato) bei Erfindung der Buchstaben den Nachtheil vor, den die Schrift auf die Ausbildung des Gedächtnisses haben würde. – Ueber die ursprüngliche Sitte der Deutschen und Franken bei der Ueberlieferung ihrer Lieder, vergl. Altd. Wälder I. 232-34 und Anm. 4.
Empfohlene Zitierweise:
Brüder Grimm: Kinder- und Haus-Märchen Band 1 (1819). Berlin: G. Reimer, 1819, Seite XI. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Kinder_und_Hausm%C3%A4rchen_Grimm_1819_V1_v_011.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)