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wenn die Wolkenpferde der Wahlküren sich schütteln. Sie läßt sich die Haare kämmen (strehlen), das heißt: sie theilt die Sonnenstrahlen über die Erde aus, denn auch die nordische Erdgöttin Sif hatte ein herrliches, von den Zwergen gewirktes Goldhaar. Um Weihnachten, wann die Sonne wieder steigt, zieht sie durch die Welt, belohnt und straft, sie führt besondere Aufsicht über die Spinnerinnen, welche, wie sich gleich zeigen wird, die das Schicksal spinnenden Elfen-Jungfrauen sind. Ueberhaupt ist sie die große Mutter vom Berge, eine Erdgöttin, wie es die auf Rügen verehrte Hertha und die Ceres der Griechen war. Mehr von ihr zu sagen, wird sich am besten bei der Erläuterung der Sagen von ihr (B. I. S. 6–10.) schicken, hier erscheint sie in ihrer zweifachen Natur, schrecklich anzusehen und doch mild und wohlgesinnt gegen das fromme Kind.

Altheidnischen Glauben enthält auch das Märchen von den drei spinnenden Weibern; diese nämlich spinnen den goldenen Faden des Schicksals, gleich den Nornen, Wahlküren und Parzen [1]. In ihnen sind leicht die halb-überirdischen Schwanen-Jungfrauen, als welche auch die Wahlküren geschildert werden, zu erkennen: sie haben noch den Platschfuß oder den breiten Daumen und die Schnabellippen. Rastlos spinnen sie Tag und Nacht, ohne Ende quillt der Faden hervor, aber auch

  1. Auch die Edda (im ersten Helgelied Str. 3.) bedient sich des Ausdrucks: Schicksals-Fäden (aurlaug thättir) und goldene Fäden (gullin simar); die Nornen befestigen sie unter dem Mondsaal, d. h. am Himmel.
Empfohlene Zitierweise:
Brüder Grimm: Kinder- und Haus-Märchen Band 1 (1819). Berlin: G. Reimer, 1819, Seite XLI. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Kinder_und_Hausm%C3%A4rchen_Grimm_1819_V1_v_041.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)