Seite:De Kinder und Hausmärchen Grimm 1819 V2 240.jpg

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wurde sie weiß und schön, wie der Tag. „Dann möchte ich einen Geldbeutel haben, der nie leer würde;“ den gab ihr der liebe Gott auch, sprach aber: „vergiß das Beste nicht, meine Tochter!“ Sagte sie: „ich wünsche mir zum dritten das ewige Himmelreich nach meinem Tode.“ Das wurde ihr auch zugesagt, und also schied der liebe Gott von ihr.

Wie nun die Stiefmutter mit ihrer Tochter nach Hause kam und sah, daß sie beide kohlschwarz und häßlich waren, die Stieftochter aber weiß und schön, ward sie ihr im Herzen noch böser und hatte nur im Sinn, wie sie ihr ein Leid anthun könnte. Die Stieftochter aber hatte einen Bruder, Namens Reginer, den liebte sie sehr und erzählte ihm alles, was geschehen war. Nun sprach der Reginer einmal zu ihr: „liebe Schwester, ich will dich abmahlen, damit ich dich beständig vor Augen sehe, denn meine Liebe zu dir ist so groß, daß ich dich immer in Gedanken habe.“ Da antwortete sie: „aber laß niemand das Bild sehen.“ Er mahlte sich nun seine Schwester ab und hing das Bild in seiner Stube auf, in des Königs Schloß, bei dem er Kutscher war, und alle Tage ging er davor stehen und dankte Gott für das Glück seiner lieben Schwester. Nun war aber gerade dem König, bei dem er diente, seine Gemahlin verstorben, welche so schön gewesen war, daß man keine finden konnte, die ihr gliche, und der König war darüber in tiefer Trauer. Die Hofdiener sahen es indessen dem Kutscher ab, wie er täglich vor dem schönen Bilde stand, mißgönntens ihm und meldeten es dem König. Da ließ dieser das Bild vor sich bringen, und sah, daß es in allem seiner

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Brüder Grimm: Kinder- und Haus-Märchen Band 2 (1819). Berlin: G. Reimer, 1819, Seite 240. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Kinder_und_Hausm%C3%A4rchen_Grimm_1819_V2_240.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)