„In demselben Gegensatz, der auch die Sozialdemokratie groß zieht: dem zwischen den ungeheueren Reichtümern auf der Seite der Unternehmer und der Besitzlosigkeit, um nicht zu sagen der Armut, auf der Seite der Arbeiter –“
„Armut! Darin sieht man wieder Ihre jugendliche Neigung zu starken Worten!“ polterte Bodenberg; „als ob unsere Bergleute von Armut auch nur ’ne Ahnung hätten! Haben alle ihr Häuschen, ihren Gemüsegarten und mästen sich ein Schwein –“
„Und doch, Herr Baron, haben wir unten im Dorf manche Ehefrau, die schon mitverdienen muß, und die Kinder schicken sie gewiß auch nicht aus Vergnügen so früh als möglich – mit gefälschten Geburtsscheinen, wenns nicht anders geht – in die Grube,“ ließ sich der Pfarrer vernehmen.
„Von der verdammten Genußsucht kommt das, und von nichts anderem!“ unterbrach ihn der alte Baron, „zu meiner Zeit gingen die Knappenfrauen noch in Kopftüchern und Schürzen in die Kirche – heute muß jede einen Federhut tragen und die Röcke auf dem Tanzboden schwenken –“
„Wenn die Leute sehen, daß die Herren Direktoren mit vierzig- und fünfzigtausend Mark Gehalt auf Gummirädern fahren und Sektgelage geben und die Aktionäre schmunzelnd enorme Dividenden schlucken, so ists doch kein Wunder, daß sies ihnen auf der einen Seite nachmachen möchten und auf der anderen vor Neid immer rabiater werden. Die ganze Bewegung ist dadurch entstanden – ich komme damit auf meinen Ausgangspunkt zurück –, daß die glänzende Konjunktur
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 396. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/398&oldid=- (Version vom 31.7.2018)