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Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Zweyter Band, welcher das vierte bis sechste Stück enthält.

mit der Liebe und dem Amor. Nicht jeder Amor ist schön und einer Lobrede würdig, sondern derjenige nur, der uns mit einer edeln Liebe begeistert. Der Amor der gemeinen Venus ist in der That gemein; blindlings handelt er, bey allem was er thut. Ihm huldiget die gemeine Klasse von Menschen. Ihnen dünkt es nicht unedler, ein Weib zu lieben, als einen Jüngling. Erhebt sich auch ihre Neigung zum ersteren Gegenstande, so ist es der Körper mehr als die Seele, was sie lieben, und ihre niedrige Leidenschaft erlaubt sich die schändlichsten Ausbrüche.[1] Auf Genuß ist nur ihr Blick gerichtet, unbekümmert ob sie auf eine edle oder unedle Art ihr Ziel erreichen. Daher kommt es auch, daß sie handeln, wie es der Zufall ihnen räth, bald gut bald böse. Dieser Amor ist aber auch der Gehülfe derjenigen Venus, die ihr Dasein selbst einer Vermischung beider Geschlechter zu danken hat, und viel jünger ist. Der andere hingegen ist der Gehülfe der himmlischen, welche erstlich ihr Daseyn von dem männlichen Geschlechte


  1. Die Konjektur ανοητατως anstatt ανοητατων zu lesen, (vergl. Schütz. Lect. Plat. P. I.) scheint mir einen sehr leichten natürlichen und dem Ganzen mehr angemessenen Sinn zu geben, als die gewöhnliche Lesart.
Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Zweyter Band, welcher das vierte bis sechste Stück enthält. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1792, Seite 190. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Neue_Thalia_Band2_190.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)