Seite:De Neue Thalia Band2 195.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Zweyter Band, welcher das vierte bis sechste Stück enthält.

Wer sollte daher nicht denken, daß Lieben und Liebe erwiedern ohne Einschränkung für edel in unserm Staate gehalten werde? Wenn man aber auf der andern Seite sieht, wie ängstlich die Väter nach Hofmeistern für die Geliebten sich umsehen, wie ernstlich sie ihnen verbieten mit ihrem Liebhaber zu sprechen, wie angelegentlich sie dem Hofmeister befehlen, darüber zu wachen; wenn man sieht, daß die Gespielen und andere junge Leute einen Geliebten verspotten, und daß kein älterer es ihnen wehrt, keiner es ihnen als ein unverständiges Betragen verweist: sollte man denn nicht vielmehr im Gegentheil denken, beydes werde in unserem Staate durchaus für entehrend gehalten? Doch, es läßt sich beydes vereinigen! Man kann, wie gesagt, nicht im allgemeinen behaupten, weder daß es edel, noch daß es unedel sey, des Liebenden Liebe zu erwiedern. Es ist edel, wenn es edel geschieht; unedel, wenn es unedel geschieht. Unedel aber ist es, dem strafbaren Liebenden mit strafbarer Liebe entgegen zu kommen; edel hingegen, reine Liebe mit reiner Gegenliebe belohnen. Der strafbare Liebende aber ist jener gemeine. Ihm ist es mehr um den Körper als um die Seele zu thun. Seine Liebe kann eben darum auch gar nicht beständig seyn, weil der Gegenstand selbst, den sie sucht, so vergänglich ist. Ist die Blüthe des Körpers, die ihn reizte, dahingewelkt,

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Zweyter Band, welcher das vierte bis sechste Stück enthält. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1792, Seite 195. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Neue_Thalia_Band2_195.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)