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Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Zweyter Band, welcher das vierte bis sechste Stück enthält.

auf das wechselseitige Gesez: daß die Gegenliebe des Geliebten jede erlaubte Gefälligkeit verdiene, und daß der Eifer des Liebenden, ihn zum weisen und tugendhaften Mann zu machen, jede tadellose Ergebung fordere; und hat der eine das Vermögen, Weisheit und Tugend zu befördern, der andere aber das Bedürfniß, Geisteskultur und Lebensweisheit zu erwerben: dann, und sonst nie, tritt der Fall ein, daß es edel ist, Liebe mit Gegenliebe zu erwiedern. Auch nur in diesem Falle ist es nicht schimpflich, sich betrogen zu haben; in allen andern Fällen – man mag seinen Zweck erreichen, oder nicht – hat man Schande von einer solchen Verbindung. Erwiedert ein Jüngling die Liebe eines Mannes, den er für reich hält, um seines Geldes willen, so wird er dadurch keineswegs von der Verachtung befreyt, wenn es sich am Ende zeigt, daß der Liebhaber arm sey, und ihm nichts geben könne; er hat schon verrathen, daß er fähig sey, jedem Menschen zu jeder Absicht für Geld die Hand zu bieten, und das ist nicht edel gedacht. Wird hingegen ein Jüngling von einem Manne geliebt, den er für rechtschaffen hält, und erwiedert seine Liebe, um durch den Umgang mit ihm besser zu werden, so bringt ihm die Täuschung durchaus keine Schande, wenn es sich auch am Ende entdeckt, daß sein Liebhaber ein schlechter Mensch

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Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Zweyter Band, welcher das vierte bis sechste Stück enthält. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1792, Seite 198. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Neue_Thalia_Band2_198.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)