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Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Zweyter Band, welcher das vierte bis sechste Stück enthält.

könnten. Die Liebe zu Jünglingen und die Gegenliebe von diesen hat also offenbar keinen andern Grund, als weil jeder nach Vereinigung mit seiner Hälfte strebt. Hat der eine oder der andre seine eigentliche Hälfte gefunden: unaussprechlich ist dann das Wonnegefühl ihrer Zärtlichkeit, ihrer Vertraulichkeit, ihrer Liebe, und – was kann man mehr sagen? – auch nicht einen Augenblick sind sie zu trennen. Wenn sie nun aber auch Lebenslang in unzertrennlicher Vereinigung gestanden haben, so wissen sie doch am Ende nicht zu sagen, was sie eigentlich von einander wünschen und verlangen. Befriedigung einer unreinen Lust kann es nicht seyn, was sie mit solcher Innigkeit vereiniget, und ihren Umgang zu einer Quelle so unerschöpflicher Freuden macht; sondern etwas anders ist es, wornach beider Seele sich sehnt, was sie aber nicht sagen, nur ahnen, nur im dunkeln Vorgefühl rathen kann. Träte nun zu solchen Menschen, wenn sie so beisammen sind, Vulkan mit seinen Werkzeugen und fragte: „Was wollt ihr doch, ihr Menschen, einer vom andern?“ und keiner wüßte es zu sagen, und er spräche nun: „Wollt ihr vielleicht so ganz vereiniget seyn, daß Tag und Nacht keiner vom andern sich trenne? Wünschet ihr dies, so will ich euch so zusammenfügen und zusammenschmelzen, daß ihr aus zweien Eins werdet, daß ihr, so lange euer Leben dauert, als ein Wesen

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Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Zweyter Band, welcher das vierte bis sechste Stück enthält. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1792, Seite 215. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Neue_Thalia_Band2_215.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)