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Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Zweyter Band, welcher das vierte bis sechste Stück enthält.

erwiesen. Ueberdieß aber muß er äußerst geschmeidig seyn. Wie könnte er sonst, falls er spröde wäre, so allenthalben durchdringen, wie könnte er in alle Seelen einschleichen, und zwar so unvermerkt, daß er da ist, ehe man sichs versieht, und eben so unbemerkt wieder seinen Abschied nimmt? Ein Beweis von Amors regelmäßiger und geschmeidiger Gestalt ist die Schönheit, die nach dem allgemeinen Urtheile vorzüglich ihm eigen ist. Häßlichkeit und Liebe sind auch im ewigen Streite wider einander. Ferner, wie lieblich muß nicht seine Farbe seyn, da er beständig in Blüthen lebt? denn nie bewohnt er einen Körper, oder eine Seele, oder einen andern Gegenstand, der entweder noch nicht zur Blühte gereift, oder schon verblüht ist. Ueberall aber, wo Blumen blühen, und Wohlgerüche duften, mag er gern sitzen, und wohnen bleiben. Ich sage nichts weiter von Amors Schönheit – so reich auch der Stoff noch wäre – um nun von Amors Tugenden zu sprechen. Eine der ersten ist unstreitig seine Gerechtigkeit, daß er keinen Gott und keinen Menschen beleidigt, aber auch eben so wenig von einem derselben Beleidigung erträgt. Gewaltsamen Zwang übt Amor nicht aus, und duldet auch keinen. Das leztere nicht; denn Zwang und Liebe heben sich auf. Aber auch nicht das erstere; denn jeder unterwirft sich ihm freywillig, und die Regenten des Staats,

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Zweyter Band, welcher das vierte bis sechste Stück enthält. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1792, Seite 224. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Neue_Thalia_Band2_224.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)