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Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Zweyter Band, welcher das vierte bis sechste Stück enthält.

Lidia.

Ja oft, oft scheint es so, und doch wie macht
in unsrer Armuth die Natur uns reich!
Der Welt gehört der Mann, dem Mann das Weib,
und sind wir arm, weil wir am meisten lieben?

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Ist, in ein großes Wesen überfließen

nicht höher, tausendfält’ges Sein? im Strahl
des edlen Geistes neu die eigne Seel’
erkennen, in der Kraft der regen Brust
des Vielgeliebten, was da ist, mit Lieb’

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umfaßen! Nein, verlohren sind wir nicht,

es schwanket unser enges Wesen nur
aus seinen Grenzen, fließet bebend aus
ins unermeßne Lebensmeer der Liebe.
In seinem Ruhm glänzt unser dunkles Leben,

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sein Nahm’ ein Stern, der allen Großen leuchtet –

Welch sanfte Gluth durchwallet unsre Brust,
wenn sie den süßbekannten Laut vernimmt!
Und hat die Welt ein allzu leicht Gewicht
auch nur ein einzig großes Herz zu wägen,

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das seine Welt still schaffend in sich trägt,

dünkt ihr der kühn gesponn’ne Lebensfaden
ein fehlerhaft Gewebe – dann die Kraft

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Zweyter Band, welcher das vierte bis sechste Stück enthält. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1792, Seite 252. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Neue_Thalia_Band2_252.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)