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Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Zweyter Band, welcher das vierte bis sechste Stück enthält.

Eryximachus.

Zur Hälfte hat dein Wahrsagergeist recht gehabt, Sokrates, daß Agathon einen schönen Vortrag halten würde; daß du dich aber in Verlegenheit befinden solltest, möchte wohl nicht so gut eintreffen.

Sokrates.

Ey, mein theuerster Freund, wie sollte ich nicht so gut, wie jeder andere in meinem Falle, darüber verlegen sein, nach einer Rede von solcher Schönheit und Reichhaltigkeit mich hören zu lassen? Laß es sein, daß die vorhergehenden Theile der Rede nicht gleiche Vortreflichkeit hatten; wer aber wurde nicht über den prächtigen Strom von Wörtern und Phrasen am Ende seiner Rede in Erstaunen gesezt? Wirklich fand ich mich bei dem Bewußtsein, daß ich einer solchen Schönheit auch nicht von ferne mich nähern könnte, so beschämt, daß ich, wäre es nur angegangen, hätte davon laufen mögen. Seine Rede erinnerte mich an den Gorgias; es gieng mir wirklich wie dem Ulysses beim Homer –

Bleiches Entsezen ergriff mich, – –

fürchtend, es werde am Ende noch Agathon das Haupt des Gorgias[1] des gewaltigen Redners,

  1. Gorgias war einer der vornehmsten Sophisten der damaligen Zeit. Sokrates benuzt die Aehnlichkeit [326] des Namens zu einer Anspielung auf den bekannten Mythos von dem Haupt der Gorgo Medusa, welches die Kraft gehabt haben soll, denjenigen, dem es vorgehalten wurde, in einen Stein zu verwandeln. – Die Stelle aus dem Homer, von der hier die Rede ist, steht Odyß. Λ, 632 ff.
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Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Zweyter Band, welcher das vierte bis sechste Stück enthält. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1792, Seite 325. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Neue_Thalia_Band2_325.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)