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Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Zweyter Band, welcher das vierte bis sechste Stück enthält.

vertritt die Schönheit gleichsam die Stelle der Parze und der Eilethyia bei der Zeugung. Wenn sich nun ein vom Zeugungstriebe belebtes Wesen mit einem schönen Gegenstande gattet, so wird es in Wonne und Entzückung aufgelößt, und es erfolgt Zeugung und Befruchtung; trift es aber auf einen häßlichen Gegenstand, so kehrt es sich mit Widerwillen und Mißmuth weg, zieht sich in sich selbst zusammen, und, anstatt zu zeugen, behält es den Bildungsstoff unter sehr unangenehmer Empfindung zurük. Daher diejenigen, die einen sehr lebhaften Bildungstrieb empfinden, sich mit großem Eifer um den Besitz eines schönen Gegenstandes bewerben, weil sie dadurch von dem schmerzhaften Drange der Zeugungstriebe befreit werden. Die Liebe ist also nicht Hang zum Schönen, wie du meinst, Sokrates?“ – Wornach denn sonst? – „Nach dem Zeugen und Empfangen durch das Schöne.“ – Ich will es zugeben. Warum aber dies? – „Weil Zeugen und Empfangen für die sterblichen Wesen ein unaufhörliches Entstehn ist, und ihnen eine Art von Unsterblichkeit giebt. Daß aber die Liebe, neben dem Verlangen nach dem Guten, auch nach Unsterblichkeit strebe, folgt aus dem obigen, wo wir ausgemacht haben: daß die Liebe ein Verlangen nach dem immerwährenden Besitz des Guten sei. Daraus ergiebt sich von selbst,

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Zweyter Band, welcher das vierte bis sechste Stück enthält. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1792, Seite 347. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Neue_Thalia_Band2_347.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)