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Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Zweyter Band, welcher das vierte bis sechste Stück enthält.

nicht bloß diese oder jene zusammengesezteren Theile unseres Wissens (denn freilich auch in dieser Rücksicht finden wir eine immerwährende Veränderung in uns) sondern jeder einzelne Gedanke ist eben diesem Wechsel unterworfen. Wir sinnen nach, und eben damit zeigen wir, daß ein Gedanke uns entfallen ist; denn Vergessen heißt eben nichts anders, als das Entfallensein eines Gedanken. Das Nachsinnen aber erwekt die erloschene Wiedererinnerung aufs neue, und erhält dadurch das Bewußtsein dieses Gedanken so, daß er der nämliche zu sein scheint, der zuerst da gewesen war. Auf eben diese Art nun ist es mit der Fortdauer der Sterblichen Wesen beschaffen. Sie dauern nicht dadurch fort, daß sie immer das nämliche bleiben, wie dies bey der göttlichen Natur der Fall ist, sondern dadurch, daß bey einem unaufhörlichen Wechsel des Vergehens und Entstehens immer etwas Neues von derselben Art an die Stelle des Alten tritt. Durch diesen Gang der Natur erhält alles Sterbliche, sowohl die Körper als andre Dinge, Unsterblichkeit. Ganz anders verhält es sich freilich mit der unsterblichen Natur. Nun hoffe ich, wirst du leicht begreifen, warum jedes Wesen ein so heftiges Verlangen fühlt, aus sich selbst etwas zu erzeugen, und das erzeugte zu erhalten. Das Streben nach Unsterblichkeit

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Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Zweyter Band, welcher das vierte bis sechste Stück enthält. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1792, Seite 350. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Neue_Thalia_Band2_350.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)